Abgebrezelt
demonstrativ auf die Etagen-Anzeige, die gerade auf die 2 springt. Allerdings glaube ich in dem Fall, dass das nicht an meinem Aussehen liegt, sondern an der Tatsache, dass ich ihm kürzlich beim Pinkeln zugeguckt habe. Ich grüße freundlich zurück und steige aus. Der lange Flur liegt vor mir, man hört Telefone klingeln, Finger auf Tastaturen rumhacken, einen Kopierer und verschiedene Stimmen aus unterschiedlichen Büros. Ich stehe immer noch verängstigt vor dem Aufzug, als mein Handy piepst und eine SMS ankündigt: Du schaffst das schon! Ich denk an Dich! Christian
Woher weiß dieser Mann, dass ich mich doch dazu entschieden habe, ins Büro zu gehen? Hat er geahnt, was seine Worte bei mir bewirken? Die Nachricht hilft mir, den ersten Schritt in Richtung meines Arbeitsplatzes zu tun. Drei Türen kann ich unbeschadet passieren. In Zimmer Nummer vier sitzt Frau Hoffmeister, die Personalreferentin. Ich will gerade vorbeigehen, als sie mir hinterher ruft.
»Frau Kronbach?«
»Jaaa?«
»Können Sie kurz mal …?«
»Wieso?«, rufe ich, immer noch so auf dem Flur stehend, dass sie mich nicht sehen kann. Mein Magen verkrampft sich, und die Übelkeit verstärkt sich.
»Jetzt kommen Sie doch mal kurz rein! Ich will Sie nur eben was fragen.«
Ich reiße mich mit aller Macht zusammen und stelle mich in den Türrahmen, aber so, dass mein Gesicht im Schatten liegt. Frau Hoffmeister, Mitte fünfzig, ziemlich mollig und rot gefärbt, schaut mich durch ihre ebenfalls rot gerahmte Brille an. Ich zwinge mich, ihr in die Augen zu sehen.
»Frau Kronbach, ich wollte nur wissen, wie es Ihnen geht! Sie waren ja ziemlich lange krank geschrieben.«
»Besser! Nett, dass Sie fragen.«
»Noch ein bisschen blass sehen sie aus! Sind Sie sicher, dass Sie schon wieder arbeiten können?«
Ich bin Frau Hoffmeister sehr dankbar, dass sie meinen Zustand unter »blass« zusammenfasst. Sie lässt sich nichts anmerken, die Gute.
»Ja, ja, es geht schon. Danke der Nachfrage!«
»Nun ja, Ihre Krankheit ist ja auch etwas ungewöhnlich, wenn ich das mal so sagen darf!«
»Da haben Sie allerdings recht! Ich muss jetzt aber auch … «
»Aber doch wohl nicht mehr ansteckend, oder?«
»Ansteckend?«
»Also, so eine Schweinegrippe, man hat ja so viel gelesen drüber und gesehen im Fernsehen!«
Felix, diese elende Laberbacke! Hätte ich mir ja denken können, dass der das durchs ganze Haus tratscht.
»Machen Sie sich keine Sorgen, das war die harmlosere, mit der man erst mit 85 stirbt, nicht die ansteckende Variante. Ich muss dann auch mal … «
»Ja, gehen Sie ruhig, und lassen Sie es langsam angehen!« Sie sieht erleichtert aus.
»Mach ich. Danke, Frau Hoffmeister.«
Ich gehe weiter. Als ich am nächsten Büro vorbeigehe, höre ich Getuschel. Ich bleibe kurz stehen, um zu horchen. » … da sind in Mexiko Leute dran gestorben … «, » … das ist ja echt eklig … «, »aber sonst dürfte sie doch gar nicht wieder ins Büro, oder?« schnappe ich auf und gehe ganz schnell weiter. Ich will nichts mehr hören. Meine Knie zittern, mein leerer Magen fährt Karussell. Ich hätte zu Hause bleiben sollen, Job hin oder her. Ich habe das Gefühl, dass ich das nicht durchstehe. Ohne einen weiteren Zwischenfall erreiche ich dann aber Gott sei Dank mein Büro. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich Akten. War ja klar, dass Christine mir nichts abgenommen hat. Ich schalte den Rechner an und lasse mich in meinen Bürostuhl fallen. In dem Moment läuft Felix über den Flur. Als er sieht, dass ich in meinem Glaskasten sitze, kommt er sofort reingestürmt. Ich falle in eine Art Todesstarre. Ich kann mich einfach nicht mehr bewegen, noch nicht mal mehr blinzeln.
»Jessi, gut, dass du wieder da bist«, Felix lässt sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch plumpsen, »ich muss dich unbedingt was fragen!«
Er guckt mich an, und ich warte voller Angst auf seine Reaktion. Meine Augäpfel trocknen langsam aus.
»Irgendwas ist anders an dir, warte … lass mich raten!«
Er betrachtet mein Gesicht sehr genau, und am liebsten würde ich wie in der Früchtequark-Werbung durch den Boden krachen. Das gibt’s doch nicht. Es ist ja wohl vollkommen offensichtlich, was mit mir nicht stimmt, aber aus irgendeinem Grund scheint Felix nichts zu sehen.
»Dein Gesicht ist ein bisschen runder geworden, stimmt’s?«
Ich nicke völlig irritiert, bin aber wieder Herr über meine Augenlider, also zumindest in meinem bescheidenen Rahmen.
»Aber Jessilein, das steht dir
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