Abgebrezelt
ganz ausgezeichnet! Ich fand sowieso immer, dass du viel zu dünn bist. Toll, was eine Schweinegrippe so alles bewirken kann«, er ist offensichtlich ernsthaft begeistert, »aber jetzt zu meiner Frage: Als ich dich besucht habe und du dich auf dem Klo eingeschlossen hattest«, ich schlucke – das hab ich ja total verdrängt, »da waren doch zwei Freundinnen von dir da.«
»Ja, stimmt. Die haben mir Medikamente gebracht und sich noch einen Sekt, den ich aber nicht –«
Er unterbricht mich: »Meinst du, du kannst mir die Telefonnummer geben von der Blonden? Caro hieß sie, glaube ich. Ich würde sie gerne mal anrufen und vielleicht auf einen Kaffee einladen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich ganz gut fand.«
Ich starre ihn immer noch an.
»Ehrlich! Die hat mich ganz nett zur Tür begleitet und meinen Arm gehalten!« Er guckt mich erwartungsvoll an, und ich schaffe es, mich endgültig aus meiner Erstarrung zu lösen.
»Klar, sie hat mir nachdem du weg warst sogar gesagt, dass sie dich sehr, sehr nett findet. Da freut sie sich bestimmt, wenn du sie anrufst. Die andere aber auch.«
»Echt?«
»Wenn ich’s dir doch sage … «
»Dann gib mir doch einfach beide Nummern, man weiß ja nie.«
Ich reiße ein Post-it von einem Block, schreibe Caros und Simones Telefonnummern drauf und gebe sie Felix. Sein breites Grinsen spricht Bände, und auch meine Mundwinkel ziehen sich leicht nach oben. Das kommt davon, wenn man seiner Freundin nicht aus der Patsche hilft! Felix steht auf und geht zur Tür. Kurz bevor er sie öffnet, dreht er sich noch mal Inspektor-Columbomäßig um: »Sag mal, ich will ja nicht indiskret sein, aber hast du was an deinen Lippen machen lassen? Die sehen irgendwie voller aus?«
»Nein, ich war nur beim Friseur.«
»Ach so! Ich muss dann auch mal wieder. Bis später, Jessica.«
»Bis später!«
Ich sitze mit offenem Mund am Schreibtisch und verstehe die Welt nicht mehr. Was bitte schön war das? Bevor ich überhaupt dazu komme, über diesen seltsamen Auftritt weiter nachzudenken, kommt Julia um die Ecke und stürmt ebenfalls direkt in mein Büro. Ich erstarre erneut hinter meinem Rechner.
»Jessi! Ich bin wieder da!«
»Das sehe ich! Aber wieso wieder da?« Ich bin völlig verwirrt. Was ist hier nur los?
»Also, dir wird ja wohl aufgefallen sein, dass ich zehn Tage nicht im Büro war. Ich komme direkt aus der Lüneburger Heide!«
Sie schaut mich an, die Hände in die Hüften gestemmt, und eigentlich müsste sie jetzt anfangen zu schreien und fragen, was mir um Gottes Willen Schreckliches zugestoßen ist. Aber nichts passiert.
»Zehn Tage weg?«, frage ich fassungslos, und Julia guckt mich an, als ob ich eine rosafarbene Zwangsjacke mit orangenen Blümchen anhätte.
»Na ja sicher, weißt du doch. Ich war doch mal wieder als Betreuerin auf der Jugendfreizeit, wie jedes Jahr um diese Zeit … aber das musst du doch mitbekommen haben!« Jetzt ist auch sie irritiert.
Natürlich! Wie konnte ich das nur vergessen? Julia war die letzten zehn Tage gar nicht da. Sie hat, wie jedes Jahr, eine Jugendfreizeit für schwer erziehbare Kinder betreut. Sie hat mich gar nicht im Stich gelassen! Julia wusste nicht, wie schlecht es mir ging. Die ganze Zeit nicht!
Mir fällt das komplette Riesengebirge vom Herzen. Ich stehe auf und falle ihr um den Hals.
»Ach Julchen! Das freut mich so, dass du auf dieser Freizeit warst!«
»Du freust dich? Bist du betrunken? Sonst hast du meine Freizeiten immer als Vorbereitungskurs für ein beschissenes Leben auf der Straße bezeichnet, und jetzt freust du dich, als käme ich mit einer neuen Frisur und einem neuen Outfit von der Pariser Modemesse?«
»Ich bin einfach nur total glücklich, dass du wieder da bist. Wir sind doch noch Freundinnen, oder?«
»Natürlich sind wir das! Was für eine Frage … Sag mal … hast du zugenommen? Du siehst irgendwie anders aus!«
»Irgendwie anders aus?« Ich fasse es nicht, hat jetzt auch noch Julia ihr Augenlicht verloren? Sind hier denn alle verrückt geworden?
»Neeeee, ne?! Du hast dir die Lippen aufspritzen lassen. Das gibt’s doch nicht. Ich hätte echt nicht gedacht, dass du so weit gehst.«
»Sag mal Julia, bist du bescheuert? Meinst du wirklich, dass ich mir meine Unterlippe zu einem Schlauchboot hab aufpumpen lassen? Ich sehe aus wie ein Zyklop! Ich habe ein Matschauge! Ich … « Mir fehlen die Worte.
»Ach, komm schon, gib es wenigstens zu. Ich kenne dich doch. Immer auf der Jagd nach Jugend und Schönheit.
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