Abgebrezelt
Dönertasche.
»Schon gut, schon gut! Dein Problem ist, dass du denkst, dass du scheiße aussiehst und das auch ausstrahlst! Wenn du mit gesenktem Kopf durch die Gegend läufst, dich nicht traust, den Leuten in die Augen zu gucken, dann siehst du tatsächlich scheiße aus. Obwohl ich sagen muss, dass du Fortschritte machst. Immerhin gehst du mittlerweile nicht mehr total vermummt aus dem Haus. Und vielleicht ist dir eins nicht so wirklich klar: Es gibt genug Männer, die auf Frauen mit Charakter und Selbstbewusstsein stehen, denen eine perfekte Hülle nicht so wichtig ist.«
Wie gerne würde ich ihm das glauben, aber mal ehrlich, welcher Typ guckt denn schon als Erstes auf die inneren Werte und erst danach auf die Brüste? Obwohl die ja bei mir eigentlich noch in Ordnung sind …
»Ach, wenn es nur so einfach wäre …!« Ich seufze. Ein großer Flatschen Zaziki tropft auf Christians Jacke. Ich reibe mit einer Serviette ein bisschen daran rum, mache es aber nur noch schlimmer.
»Aber was ist so schwierig? Was an deinem Leben hat sich denn durch dein Aussehen jetzt so verändert?«, fragt mich Christian sehr eindringlich. Zu dem Fleck auf seiner Jacke sagt er nichts.
»Alles! Einfach alles!«, bricht es aus mir heraus. »Meine Freundinnen sind weg! Meinen Job kann ich wahrscheinlich vergessen, wenn ich morgen nicht erscheine. In zehn Tagen habe ich Geburtstag und werde ihn wahrscheinlich nicht mit ganz vielen Freunden und Bekannten verbringen, sondern mit einem Matschauge, einer dicken Lippe und einer Flasche billigem Chianti. Und das mit fünfunddreißig! Ich dachte, wenn ich mal so alt werde, dann stehe ich mitten im Leben: Karriere, Beziehung, Kinder und so weiter und jetzt … «
»Aber Jessica, das kannst du doch alles trotzdem haben. Ich meine, was willst du mit Freundinnen, die dich im Stich lassen, wenn es dir schlechtgeht? Das waren dann doch sowieso nie wirkliche Freundinnen. Sei doch froh, dass du jetzt weißt, woran du bist. Und warum gesund werden? Du bist doch gesund und arbeitest doch auch nicht als Model, dann könnte ich dich ja noch verstehen. Du könntest jederzeit wieder zur Arbeit gehen. Und wieso kannst du nicht mit deinen Freunden Geburtstag feiern? Nur, weil du zeitweise ein hängendes Augenlid hast? Macht dich das zu einem anderen Menschen?«
»Schön, dass du mir das noch mal vor Augen führst, dass das mit dem Modeln wohl nichts mehr wird.«
»Ach Jessica, das ist doch echt alles nicht so wichtig! Wichtig ist, dass du glücklich bist.«
»Aber ich bin nicht glücklich!«
»Aber vielleicht liegt das an dir, dass du nicht glücklich bist. Vielleicht könntest du glücklich sein, wenn du deine Einstellung ändern würdest. Sieh mich an! Ich bin zwar im Moment unglücklich, weil ich meinen Sohn nicht so sehen kann, wie ich es möchte, aber ich bin nicht unglücklich, weil ich so aussehe, wie ich aussehe. Und ich werde im Gegensatz zu dir auch noch immer so aussehen. Aber ich kann nun mal an meinem Äußeren nichts ändern, jeder schlechte Gedanke dazu führt zu überhaupt nichts.«
»Leichter gesagt als getan! Ich muss ständig daran denken, wie ich aussehe!«
»Keiner hat gesagt, dass es leicht wird! Aber zumindest musst du – im Gegensatz zu mir – nicht mit einem riesigen Zaziki-Fleck auf der Jacke durch die Gegend laufen. Das ist doch schon mal was, oder?«
Christian schafft es wirklich immer wieder, mich zum Lachen zu bringen. Jens hat das heute nicht ein einziges Mal geschafft.
Als ich eine Stunde später dönerschwer in meinem Bett liege, kann ich lange nicht einschlafen. Ich denke über das nach, was Christian gesagt hat, vielleicht hat er ja doch irgendwo recht, und es ist tatsächlich an der Zeit, meine Einstellung zu mir und allem, was dazu gehört, zu verändern. Gegen drei Uhr morgens fasse ich den ersten Entschluss des Tages …
ACHTUNDZWANZIG Miss Interpool reloaded
Heute ist der erste Arbeitstag in meinem neuen Leben. Es ist noch nicht mal halb acht, und ich sitze bereits geduscht und angezogen am Küchentisch. Mir ist schlecht, an Frühstück ist nicht zu denken. Ich bin zu früh aufgestanden, nämlich zu der Zeit, zu der ich vor der kleinen Botox-Party immer aufgestanden bin, wenn ich arbeiten gehen musste. Nur brauchte ich da noch über eine Stunde im Bad. Heute waren es insgesamt 20 Minuten, inklusive Duschen, Haare kämmen und zu einem Pferdeschwanz binden, leichtes Make-up – das war’s. Immerhin ist der Ausschlag mittlerweile so weit verheilt, dass
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