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ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)

ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)

Titel: ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Storck
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kaufe im Supermarkt ein Radler und komme beim Trinken mit dem Inhaber ins Gespräch. „Wir waren früher Zonenrandgebiet, heute sind wir in der Mitte Deutschlands – und trotzdem am Arsch der Welt.“ Seit 46 Jahren arbeite er, in zwei, drei Jahren wolle er aufhören. Und dann sagt er einen Satz, der mich schlucken lässt: „Als die Mauer stand, war es besser hier. Durch den Grenzübergang Herleshausen war hier viel Betrieb.“ Und außerdem habe es da noch die Zonenrandförderung gegeben. Die Ost-West-Debatte wird mich auf meiner Tour noch mal einholen.
    Ich komme in Walburg an, das liegt kurz vor Hessisch Lichtenau. Die Hitze hat mich geschafft. Ich stehe an einer Kreuzung, die Unterarme auf den Lenker gestützt. Da kommt eine Frau und fragt: „Nach rechts oder links?“ Ich antworte: „Ich kann nicht mehr.“ Sie wendet sich nicht ab und geht nicht ihrer Wege. Sie erklärt mir, wo sie in Walburg zuhause ist und schickt mich dorthin. „Lassen Sie sich von meinem Mann nicht wegschicken, und die Hunde sind Hütehunde, die fressen Sie nicht“, gibt sie mir noch mit auf den Weg.
    Ich finde den Wohnsitz schnell, er liegt außerhalb des Ortes auf freiem Land. Drei Männer sind da, die sich um einen neuen Schornstein kümmern. Um nicht tatsächlich als neugierige Fahrradtouristin verscheucht zu werden, berufe ich mich auf die Begegnung mit der fremden Frau und auf das, was sie gesagt hat. Und von da an ist für ihren Mann meine Anwesenheit völlig okay. „Auch ein Bier?“, fragt er. Nein, später. „Dann ist’s alle.“ Okay, doch ein Bier. Ich erzähle, dass ich vom Bodensee hierher geradelt bin. Der Hausherr stammt von dort. Das bietet Gesprächsstoff. Aber plötzlich, simsalabim, reden wir auch hier über Ost-West-Konflikte. „Warum war das denn eine friedliche Revolution im Osten? Klar, jeder hatte Dreck am Stecken, und alle verhielten sich ruhig“, ist er sich sicher. Er habe sich viele Gedanken gemacht und erinnert sich noch gut an die „Trabi-Invasion“ 1989. „Das war ein gutes Auto, nur die Bremsen waren schlecht.“ Er hatte selbst einen Trabi. „Wenn ich damit nach Kassel gefahren bin, wurde ich als Ossi beschimpft.“ Den Unmut vieler Wessis auf die Ossis kann er nachempfinden: Für sein Glück und seinen Wohlstand müsse jeder Mensch selbst etwas tun – nicht auf Kosten anderer, also auch nicht nur auf Kosten der Wessis.
    Schließlich hat er auch mal klein angefangen. Er wohnt mit seiner Familie in einem alten Bahn-Depot, das sie vor über 20 Jahren gekauft hat. Es ist nicht übertrieben, wenn er sagt: „Alles ist etwas anders als bei anderen, aber das ist unsere Freiheit.“ Alles fing ganz einfach an in einem Wohnwagen, ohne Strom, „das Wasser in der Wanne haben wir mit dem Bunsenbrenner erhitzt“. Später zogen sie um in den Gebäudetrakt, der neben der Wohnung einen Stall beherbergt. Hier stehen die Tiere des Schäfers. Und das Gelände draußen, mit ausrangierten Bahnwaggons, einem Silo, Bauwagen und jeder Menge Gerätschaften, gäbe eine prächtige Kulisse für einen alten Western ab. Hier ist wirklich alles anders.
    Seine Ehefrau hat derweil Fleisch für den Grill eingekauft. Wir sitzen draußen und lassen es uns schmecken. Die gastfreundliche Frau mit Organisationstalent weiß auch schon, wo ich übernachten kann: bei ihrer Nachbarin Marita Härtel. Dort bringt sie mich nach dem Essen hin. Das schöne Haus steht mitten im Grünen. Die gebürtige Dortmunderin hat es Mitte der 80er Jahre ins Hessische verschlagen, und seit 1991 wohnt sie in dem Haus, mit ihr ihr Mann Klaus Leukefeld. Außerdem hat sie sechs Hektar Land von der Kirche gepachtet für ihre tierischen Mitbewohner, die ich am nächsten Morgen kennen lernen werde. Ich kann mir aussuchen, wo ich die Nacht verbringen will: im Haus oder draußen im Bauwagen. Natürlich im Bauwagen. Lila und mit Mond und Sternen angemalt, steht er auf der bunten Wiese hinterm Haus. Er ist wohnlich und mit einem Bett eingerichtet, ich lasse die Tür auf. Gute Nacht!
    Der nächste Morgen beginnt mit einem Kaffee, was ich sehr genieße. Jetzt kann ich den tollen verglasten Wintergarten bestaunen, der sich ans Wohnzimmer anschließt und einen fließenden Übergang raus in die Natur schafft. „Den habe ich für 500 Euro bei eBay ersteigert“, freut sich Frau Härtel immer noch über das Schnäppchen. Sie steht auf schöne Dinge, nicht auf teuren Krempel, den kein Mensch braucht. Sie lebt entspannt nach ihren Bedürfnissen – ja, auch

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