ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
meint beim Abschied, dass ich ruhig weiter über die Landstraße fahren könnte. Früher sei der Verkehr hier dicht gewesen, aber jetzt fahren alle auf der A 71. Stimmt, die Landstraße ist leer gefegt wie ein Radweg morgens um 8 Uhr. Schönes Fahren. In Dillstädt, kurz vor Suhl, zeigt mein Kilometerzähler 2000 Kilometer an. Ich bin nur kurz beeindruckt, schnell muss ich mich wieder auf den Verkehr konzentrieren. Vor Suhl wird es stressig, viele Autos und Lkw sind – für meine Begriffe viel zu schnell – unterwegs.
Ich weiß nicht genau, wie ich von hier aus zum Gera-Radweg komme. Das Anfangsstück ist in meiner Karte sehr vage eingetragen. Dem traue ich nicht. Stoppe lieber vor der Touristen-Info, wo ich mir Aufschluss erhoffe. „Theoretisch könnten Sie so fahren“, sagt ein junger Mitarbeiter. Auf Nachfragen bekomme ich aus ihm raus, dass er nur Auto fährt und keine Ahnung von den Radwegen in der Umgebung hat. Nicht so schlimm, er bemüht sich dennoch, was man von seiner Kollegin nicht sagen kann. Sie rät mir, in der nahe gelegenen Buchhandlung eine Radkarte zu kaufen. Na toll. Ich schlucke meinen Ärger mit einer leckeren Thüringer Rostbratwurst hinunter. Und die schmeckt wirklich echt, nicht wie das Zeug, das auch in mancher Ruhrgebietsstadt als Original verkauft wird.
Weil ich keine andere Idee habe, suche ich dann tatsächlich die Buchhandlung auf. Hier weiß eine nette Verkäuferin zumindest, in welche Richtung ich aus Suhl herausfahren muss. Goldlauter heißt der nächste Ort, in den ich mich mühsam hinaufquäle. Weil ich immer noch nicht weiß, wie ich mit dem vollbeladenen Rad am besten den Rennsteig erobere, laufe ich Gefahr, mich in der Prärie zu verfranzen. Erschöpfung macht sich breit. Ich drehe um, fahre zurück nach Goldlauter, wo ein Schild zum Forsthaus führt. Dem folge ich nun, bis ich vor einem wunderschönen, holzvertäfelten Gebäude in der Natur stehe. Lydia Hellmann kommt mit ihrer kleinen Tochter Ida an die Tür. Ihre Eltern sind verreist, sie will mich erst nicht aufnehmen. Ich erzähle ihr, wo ich herkomme und dass ich keine Kraft mehr habe. Sie telefoniert kurz mit ihren Eltern, und ich darf bleiben – für eine Nacht im Forsthaus, was 19 Euro kostet. Ich dusche und knabbere an ein paar Proviantresten, mehr geht nicht mehr an diesem Abend.
Am nächsten Morgen wache ich gegen 7 Uhr auf, genieße noch ein paar ruhige Minuten im schön bequemen Bett, schaue aus dem Fenster auf Bäume, in deren Geäst sich putzige Eichhörnchen tummeln. Ein guter Einstieg für den Tag, an dem mich Frau Hellmann noch zum Frühstück mit Töchterchen Ida und Lebensgefährten Martin Hambach einlädt. So ganz genau weiß sie das auch nicht mit dem Weg, „ich fahre sonst nur mit dem Auto“. Also fahre ich einfach los, orientiere mich an den Schildern für Wanderer. Der Weg führt tief in den Wald, an der Köhlerhütte rufe ich in der Gemeinde Goldlauter an zwecks Wegweisung. Warum habe ich das nicht vorher gemacht??? Eine nette Frau erklärt mir den längeren, für mich besseren Weg zum Rennsteig. Nach gut 9 Kilometern Schieben bis auf 924 Höhenmeter mit einem gigantischen Blick ins Tal komme ich keuchend an der Suhler Hütte an und quäle mich noch bis Schmücke. Unterwegs bestätigt mir ein ortskundiger Spaziergänger, dass dies der kürzeste und beste Weg sei. Ich kann’s bis heute nicht so richtig glauben. Aber egal. Auch diese Höhe habe ich eingenommen.
Endlich kann ich nun wieder auf einem Radweg fahren, dem Gera-Radweg. Die Erleichterung hält aber nicht lange an. Ja, er ist gut ausgeschildert, mehr aber nicht. Die ersten Kilometer sind eine Zumutung. Der unbefestigte Weg führt über groben Schotter und ist stark vom Orkan Kyrill geschädigt, der im Januar 2007 durchs Land wütete. Große Äste liegen auf dem Weg, zerschnittene, gestapelte Baumstämme verengen ihn. An zwei Stellen sind Forstarbeiter mit schweren Maschinen bei Aufräumarbeiten im Einsatz. Ein sorgloser Genuss der Abfahrt ist unmöglich, weil gefährlich. Was gar nicht eingeplant war: Ich stoppe am schönen Waldgasthof Mönchhof inmitten von Buchen- und Fichtenwäldern. Ich bin einfach rastreif und genieße Rostbrätl auf Brot und ein kühles Alster. Rostbrätl ist ein typisches Gericht aus der deftigen Thüringer Küche: Flach geklopfte, zarte Schweinenackensteaks werden zunächst in einen Sud aus Bier, Zwiebelringen und Thüringer Born-Senf eingelegt, später ganz kross gebraten und wiederum mit gut gewürzten,
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