ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
Isomatte aus und mich in den Schlafsack ein. Ich lese noch ein paar Seiten, ein einziger Mary Higgins Clark-Krimi durfte mit ins Gepäck, dann gucke ich zu, wie es allmählich dunkel wird.
Immer, wenn ich anderen Menschen nach der Reise von diesem Abend erzählte, fragten mich – meistens Frauen – ganz ungläubig: „Hattest du gar keine Angst?“ Nein, hatte ich nicht. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Kein Kopfkino, bei dem die Phantasie mit einem durchgeht, keine Erinnerung an Krimis, in denen es vor sadistischen Serienmördern nur so wimmelt. Nix. Im Gegenteil: Es erschien mir geradezu unnatürlich, diesen schönen Abend nicht zum Übernachten im Freien zu nutzen.
Bevor ich einschlafe, lege ich dennoch vorsorglich meine kleine Taschenlampe in Reichweite. Irgendwann, es ist inzwischen stockdunkel, werde ich von einem verdächtigen Geräusch wach. Ich hoffe, dass ich nur träume, aber es ist wahr. Und nass. Der Sommerabend hat sich davon gemacht, es regnet: erst nur tropfenweise, dann immer stärker. Ich habe zwei große graue Plastikmüllsäcke für den Notfall im Gepäck. Die reiße ich an den Nähten auf, um mehr Fläche zu bekommen, und decke mich samt Gepäck mit der Plane und meinem Regenmantel völlig ab. Zusammengekrümmt wie ein Fötus liege ich am Boden, presse mich an die Erde, will nicht wahrhaben, dass sich da ein starker Dauerregen entwickelt. Ich rede mir ein, dass es gleich wieder aufhört und alles gut wird. Und trocken.
Kurz nach Mitternacht, als die Planen das Wasser nicht mehr abhalten und sich viele Schnecken anschleimen, gebe ich auf. Ich werfe alles wahllos in die Tragetaschen, schnüre das Gepäck fest und fahre etwa zehn Kilometer zurück. Ich bin mir nicht sicher, der Ort hieß wohl Rheindiebach. Ich hatte dort direkt am Flussufer eine Pause und Katzenwäsche im Rhein gemacht und erinnerte mich, dass auf der angrenzenden Wiese ein offener, überdachter Pavillon mit Grill und zwei Bänken steht.
Tagsüber fand ich es schön, auf dem Radweg direkt neben dem Rhein zu fahren. In der Nacht, bei strömendem Regen und starkem Wind, habe ich einfach nur Schiss, dass ich wegrutsche und in den Fluss plumpse. Niemand erfährt dann, was mit mir geschehen ist. Hilfe! Der Rhein ist nachts unheimlich wie ein dunkler, tiefer, gurgelnder Schlund, der einen zu verschlingen droht. Vor lauter Vorfreude auf ihr nächstes Opfer scheint sich die Loreley schon die Hände zu reiben. Aber die Nixe hatte es ja auf Seebären abgesehen. Der Sage nach saß die wunderschöne Frau auf dem berühmten Schieferfelsen, kämmte ihr langes blondes Haar und lockte mit ihrem betörenden Gesang die vorbeifahrenden Kapitäne an. Die ließen sich nur zu gerne den Kopf verdrehen, so dass sie nicht mehr auf die starke Strömung und Felsenriffe achteten und ihre Schiffe zerschellten.
Ich fahre wie der Teufel weiter, finde den Unterstand tatsächlich wieder. Meine Freude hält nur einen Moment an. Auf einer der zwei Bänke, die dort stehen, sitzen zwei mit dunklen Stimmen Russisch sprechende Männer. Zu diesem Zeitpunkt liegen meine Nerven blank, ich denke an Mafia, Überfall, einfach nur an böse, böse Männer. Die sitzen derweil weiter friedlich auf der Bank, prosten sich zu, ich glaube mit Bier. Sie nehmen meine Ankunft gelassen zur Kenntnis, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, dass nachts hier Radler absteigen.
Ich schwanke: Bleibe ich hier oder nicht? Der nicht nachlassende Regen lässt mich verharren. Inzwischen ist es etwa 2.30 Uhr. Für den kurzen Rest der Nacht wickle ich mich frierend in meinen klammen Schlafsack und lege mich auf die andere Bank. Bloß nicht einschlafen, denke ich, um mitzubekommen, was die Männer machen. Die unterhalten sich immer noch, nach etwa einer Stunde, die mir vorkommt wie die Ewigkeit, stehen sie auf und gehen. Als ich wieder vernünftig denken kann, bin ich mir sicher: Das waren friedliche Angler.
Als die Isomatte irgendwann wieder trocken ist, wechsle ich auf selbige auf den Boden, das ist bequemer. Ich schlafe vor Erschöpfung ein. Kurz nach 8 Uhr am Morgen komme ich nur schwer auf die Beine, und eine Frau, die vorbeigeht, fragt verblüfft, ob ich hier geschlafen hätte. Ich bestätige das – selbst ein wenig erstaunt. Meine letzte Nacht im Freien bleibt das aber nicht.
Kapitel 5
Großzügige arme Dienstmägde
Auf eines ist Verlass: Jede Nacht, auch die vergangene, wird von einem Tag abgelöst. Da sieht der Rhein doch gleich wieder so aus, wie ich ihn mag:
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