ABGEFAHREN: Auf dem Rad durch Deutschland - mit wenig Geld und viel Gepäck (German Edition)
könnte, das auf der Wiese steht. Erst am Wochenende wird hier eine Oldie-Nacht mit Musik vom Band gefeiert. Detlef Wohlert, Ende fünfzig, guckt, überlegt einen Moment und sagt: „Ja.“ Ich darf auch die Dusche im Haus nutzen.
Kein Fünf-Sterne-Hotel hält mit diesem Schlafplatz mit. Die Zeitschrift Auto, Motor, Sport hat das Naturfreunde-Bootshaus zu einem der schönsten Naturcampingplätze Deutschlands gekürt. Zu Recht. Idyllisch am Altrhein gelegen, bietet die Auenlandschaft Natur pur: Hier wachsen Walnussbäume, abends geben Kröten am Bootssteg Konzerte, und Tierfilme laufen live, mit Nutria, Nachtigall, Eisvogel, Kormoran und Rotem Milan.
1932 wurde das Naturfreunde-Haus am Altrhein eingeweiht. Im Sommer 2007 leben die Wohlerts fünf Jahre hier. Sie hatten auf das Zeitungsinserat geantwortet, in dem ein Hausmeister gesucht wurde. Das Paar kümmert sich ehrenamtlich um das Bettenhaus, die Küche für Selbstversorger und sanitäre Einrichtungen sowie den kleinen Zeltplatz. Dafür wohnen sie mit der Vereinskatze Patscher und dem Jagdterrier Bazi mietfrei in der Wohnung auf dem Gelände. Früher war Detlef Wohlert stellvertretender Leiter des Umweltamtes und Gartenbau-Abteilungsleiter in Funkstadt. Wegen „der Pumpe“, die nicht mehr so wollte wie er, wurde er Frührentner. „Jetzt habe ich ’ne andere Form von Stress“, sagt der langjährige Kaninchenzüchter trocken. Morgens um 6 Uhr beginnt sein Tag, der oft erst um 22 Uhr endet. Die Saison dauert vom 1. April bis zum 31. Oktober, im Herbst und Frühjahr müssen das Anwesen in Schuss gehalten und Reparaturen ausgeführt werden. Und nicht zuletzt wollen die Interessen und Belange der rund 50 Naturfreunde-Vereinsmitglieder am Bootshaus unter einen Hut gebracht werden. „Seit wir hier wohnen, waren wir noch nicht ein Mal im Urlaub“, stellt Detlef Wohlert ziemlich unaufgeregt fest. Denn die Natur, dieses irdische Fleckchen Paradies, in dem er lebt, entschädigt. Und die Begegnung mit den Menschen. Ein Vogelkundler aus Indien war schon zu Besuch, Naturfreunde aus Nepal, Mexiko und der ganzen Welt.
Nachdem mich der inzwischen weggeradelte Hans Linzing mit Mineralwasser versorgt hat und mir die Wohlerts noch eine leckere Eisschokolade spendieren, geht für mich ein wunderschöner Tag in ganz urwüchsiger Natur zu Ende. Es ist der erste auf meiner Tour, an dem ich keinen Cent ausgegeben habe. Am nächsten Morgen weckt mich Vogelzwitschern. Ich verabschiede mich von einem der schönsten Orte auf meiner Tour und von den Wohlerts, die mich ohne viel Tamtam und wie selbstverständlich aufnahmen.
Ich nehme mir Zeit mit dem Abschiednehmen von dieser schönen Gegend. In Biebesheim halte ich vor einer Bäckerei. Der Satz „Ich fahre mit großem Gepäck und kleiner Reisekasse“ erweist sich auch hier als gute Einleitung für die Bitte um ein Frühstück. Anstandslos und lächelnd reicht mir die Verkäuferin einen Pott Kaffee und zwei belegte Brötchen, obwohl ich nur zwei trockene wollte. Danke!
Derart in Herz und Magen gestärkt, mache ich noch einen Abstecher in den Vogelpark Biebesheim, der Eintritt ist frei. Hier kann man wunderbar nistende Störche beobachten sowie Emus, Kraniche und viele andere flatterhafte Wesen.
An diesem Tag führt kein Weg am Atomkraftwerk Biblis vorbei. Gerade biege ich auf dem schönen Radweg mitten im Grünen um die Ecke, da steht plötzlich dieser Koloss am Rhein. Dazu ruft ein Kuckuck im Wald – eine gespenstische Atmosphäre. Schnell weiter auf einer ansonsten „irre schönen Strecke“, wie ich es später in meinem Reisetagebuch schreibe. Mit Kornblumen und Mohn am Feldrand sowie Schmetterlingsschwärmen in der Luft.
Gegen 13 Uhr komme ich in Worms an, wo ich auch bleiben will. Bis etwa 17 Uhr suche ich vergeblich eine Bleibe. Viele Passanten reagieren komischerweise muffelig und abweisend auf meine ortsunkundigen Fragen. Hier fällt mir zum ersten Mal auf, wie viele Menschen auf ihren Wegen zugestöpselt sind mit Kopfhörern. Spricht man sie an, fallen sie vor Schreck aus allen Wolken. Und in Worms bekomme ich auf meine Fragen oft zu hören: „Weiß ich nicht“ oder „Ich bin nicht von hier“.
Aber es geht auch anders. Im Kunsthaus Worms, wohin ich einen Abstecher mache, gibt mir Uli Spiro ein paar Übernachtungstipps und dazu ein paar leckere Kekse. Die Künstlerin betreibt eine Textilwerkstatt, in der sie unter anderem die alte handwerkliche Technik des Filzens vermittelt, sowie Näh-, Patchwork- und andere Kurse
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