Abgehauen
von dem Fernsehintendanten Heinz Adameck zu einer Unterredung gebeten worden, man habe dann gemeinsam zu einem weiteren Gespräch das Poilitbüromitglied, den Chef für Agitation und Propaganda, Werner Lamberz aufgesucht. Die Petition hätten er und seine Frau nun mal unterschrieben, es habe Reaktionen aus dem Westen gegeben, man habe sich Klarheit über die Lage verschaffen wollen. Sie seien beide nicht bereit gewesen, ihre Unterschriften zurückzuziehen oder ihre Meinungen zu ändern, statt dessen hätten sie vorgeschlagen, ein größeres Treffen mit mehreren Künstlern zu arrangieren, bei der Gelegenheit sollte offen und ehrlich über die gesamte Situation gesprochen werden.
Stefan Heym:
Das ist sehr schön, da würde ich jetzt den Vorschlag machen, daß der Genosse Lamberz mal referiert, wie diese Entscheidung, Biermann nicht wieder ins Land zurückzulassen, zustande gekommen ist und aus welchen Gründen. Denn ohne daß wir das wissen, können wir gar nicht intelligent mit Ihnen sprechen. Ich möchte vorausschicken, daß es mich sehr freut, den Genossen Lamberz auf diese Weise kennenzulernen, von dem ja – um den »König David Bericht« zu zitieren – das Gerücht geht, er sei einer der Weisesten im Lande.
Werner Lamberz:
Ich glaube, wir können auf Zensuren verzichten. (Bemühtes Lachen aus der Runde.) Wir sind hier nicht in der Schule.
Stefan Heym:
Das war keine Zensur, das war ein Kompliment.
Lamberz:
Ich bleibe lieber bei der Wahrheit. (Pause.) Vielleicht machen wir’s doch so, ohne Referat, mir mißfällt der Begriff des Referierens. Wir machen’s wirklich in Form einer Aussprache, wobei ich auch zwei Dinge vorwegschicken möchte. Hilmar Thate sprach schon von der Genesis dieser Zusammenkunft. Das war eine ganz persönliche Initiative von Heinz Adameck und mir, und heute spreche ich nur in meinem Namen, nicht im Namen einer Institution oder im Namen eines Kollektivs, und ich glaube, so soll man auch das Treffen auffassen. Und auch Heinz Adameck und Karl Sensberg, ein guter Freund von mir – wir sind alle als Personen hier.
Was unsere Beweggründe waren, mit Angelica Domröse und Hilmar Thate zu sprechen, das war einfach die Sorge, wohin sich alles entwickelt, wie das alles eskaliert, was aus einer gut gemeinten oder richtig gedachten, sicherlich unterschiedlich zu bewertenden Absicht geworden ist, wie verschiedene Leute mitmischen bei dieser Absicht, und wie es heute gar nicht mehr um das Problem der Ausbürgerung oder Nichtausbürgerung geht, sondern um das einer politischen Konzeption und einer anderen politischen Konzeption, um die Versuche der anderen Seite, mit dieser ganzen Angelegenheit sich in die DDR einzumischen, in einer sehr massiven Form. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE hat davon gesprochen, daß die gestrige Sendung für die Bewohner der DDR gemacht wurde. (Gemeint ist der Biermann-Auftritt in Köln.) Aber wir haben immer gedacht, daß das Fernsehen der BRD für die Bürger der BRD da ist, und nicht für die Bürger der DDR. Also, unserer Meinung nach geht’s schon gar nicht mehr um Kritik an irgendeiner Sache, sondern es geht wirklich um eine prinzipielle Auseinandersetzung mit der Politik unseres Staates, mit dem Charakter unseres Staates, mit dem Wesen unseres Staates und mit einem Protest, der vor allen Dingen von der anderen Seite ausgenutzt wird in einer Art und Weise, die sich natürlich kein Staat gefallen lassen kann. Worauf liegt denn die Hauptbetonung? Die liegt doch gar nicht mehr auf einem Gespräch zwischen den ersten Unterzeichnern und der Regierung. Abgesehen davon, daß in diesem Dokument ja auch nicht nur vom Gespräch gesprochen wurde, sondern es heißt am Schluß: Protest. Und diejenigen, die man jetzt sammelt, damit sie unterschreiben, tun das ja alle nur noch unter einer Zeile, unter einer Deckzeile: wir schließen uns dem Protest an, nicht: wir schließen uns einem Gespräch an, oder: wir sind für eine Unterredung. Wir protestieren! Wir protestieren!
Heym:
… Und bitten …
Lamberz:
Wie bitte?
Heym:
Und bitten.
Lamberz:
Gut. Aber der Protest ist ja auch da. Ich meine, bei denen, die sich anschließen, geht es vor allem um den Protest. Sicherlich gibt’s über Biermann verschiedene Auffassungen. Ich zweifle schon den ersten Satz der Erklärung ganz entschieden an. Man sagt dort, es gab auch unbequeme Dichter in der Vergangenheit. Nur, die unbequemen Dichter der Vergangenheit haben sich meistens gegen die Reaktion
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