Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
Vom Netzwerk:
ihn dreimal gesehen, nie allein, immer bei mehr oder weniger zufälligen Anlässen. Einmal, vor ein paar Jahren, stieg er vor dem Dresdener NEWA-Hotel aus seinem »Tschaika«, ich stand dort herum, er sah mich, und es kam zu einer beinahe herzlichen Begrüßung mit Arm auf der Schulter und einigen freundlichen Klopfern. »Wie geht’s? Gut? Na, prima.« Das waren die Worte, die damals gewechselt wurden, wenn man sich mal traf. Da gab es nicht viel am anderen zu erforschen, da war die Mündung nicht zu sehen. Mir ist, als könne er ahnen, was mir durch den Kopf geht, er lacht, daß ich die kleinen Goldplomben an seinen Zahnhälsen sehen kann: »Das ist doch alles Unsinn, Manfred. Du hast deinen Weg in diesem Land gemacht, genau wie ich. Ich habe mir meine Position auch erarbeitet, ich bin nicht mit dem Fallschirm …« Er benutzt diesen Satz wörtlich noch einmal, wie am 20. November in meiner Wohnung, » … bin nicht mit dem Fallschirm im Zentralkomitee abgesprun gen. Das ist harte Arbeit gewesen. Es gibt 164 Länder auf der Erde, in 110 davon bin ich gewesen, jetzt gerade in Afrika …«
    Ich: » … Da hätte ich dir gern mal die Koffer getragen …« Lamberz: » … Bitte! Warum denn nicht? Ich sage zu vielen Leuten: Kommt mal mit, seht euch das an … Ich wollte sagen, daß mir das alles nicht in den Schoß gefallen ist. Und genau so ist es bei dir, Manfred. Du bist doch ein kluger Kopf, du hast erst die Hälfte deines Lebens hinter dir, denk doch mal nach.«
    Ich: »Das habe ich jetzt ein halbes Jahr lang getan. Das Ergebnis dieses Nachdenkens liegt vor dir: mein Antrag.« Lamberz: »Du bist erregt. Du bist in einer Situation, wo du für dich selbst nicht zuständig bist. Nimm deine Familie und fahr in Urlaub, ans Kaspische Meer oder nach Bulgarien.«
    Ich: »Ich will nicht in Urlaub. Ich hatte jetzt genug Urlaub. Ich will gehen. Da ich von dem Entschluß nicht abzubringen bin, sollten wir lieber darüber reden, wie das möglichst lautlos geschehen kann. Die Leute wissen ohnehin, daß ich längst weg bin.«
    Ich sehe, daß Lamberz rot wird. Es ist nicht die späte Sonne, er wird rot vor Wut. Er nimmt mir das Versprechen ab, über das Gespräch zu schweigen. Ich frage mich, wann die Situation umkippen wird, ab wann es mir an den Kragen gehen, an welchem Tag dieses Manuskript abbrechen wird, weil sie mir in Rummelsburg oder in Bautzen einen Urlaubsplatz besorgen werden.
    Er trinkt, ich trinke. Der Mann hat eine bessere Kondition als ich, das Gespräch hat mehrmals denselben Lauf genommen, ich bin ziemlich fertig. Zwischendurch kommt immer mal was Neues hinzu. Ich erzähle ihm die Geschichte von dem Loch in der Scheuerleiste, beklage die Ungerechtigkeit gegen Klaus Lenz, beides scheint er zu überhören.
    Ich schimpfe über Hoffmanns Verleumdung vor den Schriftstellern.
    »Für so etwas«, sagt Lamberz, »kann man sich entschuldigen, egal, ob das nun in der Form geäußert worden ist oder nicht. Man kann sich entschuldigen.« Ich denke nicht daran, dieses hochherzige Angebot anzunehmen, ich übergehe es. Ich stelle mir den Haß vor, den ich mir zu allem Unglück einhandeln würde, wenn Hoffmann mich vor den Dichtern des Landes rehabilitieren müßte. Welche lächerlichen Gedanken. Es würde ohnehin niemals geschehen. Und was hätte ich von einem Kulturminister zu erwarten, der auf mein Drängen zu einer öffentlichen Zurücknahme gezwungen würde, und was von Lamberz, der meinetwegen diesen Zwang ausüben müßte? Es wäre einmalig, das ist wahr, aber es wäre das Schlimmste, was ich mir antun könnte, wenn ich es mir antun könnte. Lamberz ist abwesend. Er sieht aus als kramte er in seinem Bauchladen. Wir kommen wieder an die Stelle, wo ich sage: »Laß mich gehen.«
    Plötzlich sagt er: »Kuba. Wir könnten eine Weile irgendeine Arbeit in Kuba für dich ermöglichen.« Mein Mißtrauen gegen diesen Mann und all die Leute, die um ihn herum sind, wird immer größer. Ich frage mich, ob ich anfange durchzudrehen. Keine Nacht kann ich vor drei einschlafen, und vor sieben wache ich morgens auf. Mit meinem Herzschlag erlebe ich in letzter Zeit Unregelmäßigkeiten. Das jagt mir Angst ein, mir bricht Schweiß aus. Ottilie weiß nichts davon, ich will es selbst nicht wissen. Es hilft mir, ans Fenster zu gehen und tief zu atmen. Jeden Morgen nach dem Aufwachen nehme ich mir vor, mit dem Rauchen aufzuhören. Der Mann hat Kuba gesagt. Was soll ich in Kuba machen? »Was soll ich in Kuba machen?« sage ich.
    Er sagt: »Oder

Weitere Kostenlose Bücher