Abgehauen
vom 23.11.76.« Frau Krause geht raussuchen.
Ich sage: »Wenn du meinen Ausreiseantrag gelesen hast, wirst du von einem kleinen Teil der Repressalien Kenntnis haben.«
Lamberz: »Ich habe nichts bekommen.« Da ich ihm nicht sagen kann, daß er lächerlich taktiert und lügt, da ich ihm nicht sagen kann, daß er sich um jeden Scheiß kümmert, daß er nicht zum Regieren kommt, weil er sich um jeden Scheiß kümmert, stelle ich dieselbe Frage mit anderen Worten: »Soll ich das so verstehen, daß dir der Inhalt nicht bekannt ist?«
Lamberz: »Ist mir nicht bekannt. Moment.« Er drückt wieder auf seine Klingel. Auftritt Genossin Krause. Lamberz: »Ist uns irgendein Schreiben von Manfred Krug eingegangen?«
Krause: »Nein, das weiß ich genau.«
Lamberz: »Oder irgendeine dienstliche Sache, die ihn betrifft, eine Kopie vielleicht?«
Die Genossin Krause sagt, sie wolle nachsehen und geht ab.
Ich: »Soll ich das so verstehen, daß der Genosse Kulturminister dich nicht von meinem Ausreiseantrag unterrichtet hat?« Lamberz zögert, tut dann aber ganz selbstverständlich:
»Doch, ich habe davon gehört. An wen hast du den Antrag denn adressiert?« Ich: »An die zuständige Behörde.« Die Krause tritt auf: »Nein, da liegt nichts vor.« Lamberz dreht wie ein Magier die Handflächen nach oben und sagt: »Na bitte.« Und zu ihr: »Danke, bring uns noch etwas Cognac.« Krause ab.
Lamberz: »Frank Beyer war in Amerika. Jurek Beckers Buch ›Der Boxer‹ ist erschienen. Heiner Müller war im Ausland. Deine Lieder werden im Rundfunk gespielt. Wo sind da Repressalien? Hier liegt kein Initiativplan gegen Krug vor.«
Genossin Krause kommt mit der FAZ vom 23.11.1976, das heißt mit einem xerographierten Stück davon, säuberlich auf einen weißen DIN-A4-Bogen geklebt, da steht die Petition noch einmal abgedruckt, und unter den mir bekannten Namen finde ich tatsächlich 2 neue. In Worten: zwei. »Bitte«, sagt Lamberz, »da stehen, entgegen eurem Versprechen vom 20. November, noch neue Namen.« Er backt wieder kleine Brötchen, dazu kann man sich nicht äußern. Die Krause bringt auf einem Aluminiumtablett mit Plastik-Spitzendeckchen eine Flasche »Auslese«, Lamberz schenkt reichlich ein. Er hebt sein Glas, beugt sich über den Tisch, will mit mir anstoßen. Ich stoße widerwillig mit der Staatsmacht an, die ihren langen Arm über den Tisch streckt, und denke, daß die Sache mit der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und sein Versuch, Unkenntnis über meinen Antrag vorzutäuschen, eine ziemlich erbärmliche Vorstellung ist.
Ich sage ihm, daß die härtesten und gefährlichsten Angriffe – Staatsfeind, Krimineller, Verräter an der Arbeiterklasse – besonders in Bezirksparteileitungen, in Parteiversammlungen, bei Armee, Polizei, Lehrern und bei der Stasi vor getragen werden. Da sei der Schluß naheliegend, daß irgendwer weiter oben ein Interesse an der Zerstörung meines Leumunds habe, der doch bis vor einem halben Jahr so untadelig gewesen sei.
Keinesfalls in der Parteiführung, sagt Lamberz, da könne ich gewiß sein. Ich bin alles andere als gewiß. Er habe nichts davon gehört, daß dieser Mann in Erfurt bei der Stasi arbeite. »Der hat seine Ohrfeigen verdient. Aber glaubst du nicht auch, daß es sehr kluge Leute bei der Sicherheit gibt? Ich sage meinen Jungs immer wieder: Lest, bildet euch, tut was für euren Verstand.« Mit ihm sei man damals, am 20. November, auch nicht gerade fair umgegangen, man habe ihm sechs Gesprächspartner versprochen, in Wahrheit seien es mehr als doppelt so viele gewesen, darunter auch dieser unverschämte Heym.
»Das hatte ich nicht organisiert«, sage ich, »ich hatte nur meine Wohnung zur Verfügung gestellt, weil dort genug Platz war. Wir sollten uns nicht in solche kleinlichen Dinge verlieren. Ich bin fertig mit alledem, ich bin ein anderer als vor einem halben Jahr. Ich will weg.« Lamberz: »Was willst du denn da? Willst du den Kameras der Springer-Leute ein Ziel bieten? Dich in diese haarsträubenden Fernsehinterviews einlassen? Glaubst du auch nur im Traum daran, daß du dich diesem Propagandarummel entziehen kannst?«
Jetzt sind wir an der Sache. Ich sage: »Das kann ich nicht, das ist eine Besorgnis, die ich voll und ganz verstehe. Ich will nach besten Kräften helfen, jeden Wirbel zu vermeiden.« Ich sehe ihm an: Das glaubt er nicht, und das genügt ihm nicht. Plötzlich sage ich: »Von mir aus kann es ein anderes Land sein. Ich will weniger irgendwo HIN als irgendwo WEG. Laß
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