Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
um…«
Nicola, der schon vor einigen Sekunden angefangen hat, den Kopf zu schütteln, fährt dazwischen, bevor Ernesto auch nur den Satz beenden kann.
»Nun, Ernesto, ich muss dich sofort unterbrechen. Wie es mit Andrea ausschaut, weiß ich nicht, aber ich bin wirklich mehr als beschäftigt, denn ich muss etwas erledigen, das ich nicht mehr aufschieben kann. Seit Tagen sitzt man mir schon im Nacken, und später habe ich die Sitzung mit dem Dingsbums, mein Gott, es tut mir wirklich leid, aber…«
Ich, der ich mittlerweile auch angefangen habe, den Kopf zu schütteln, fahre nun dazwischen, bevor Nicola den Satz beenden kann. »Es ist ein Elend, das Gutachten für die Franzosen schien eine abgeschlossene Sache zu sein, davon hatte ich dir doch erzählt, oder? Und jetzt, paff , da sind sie wieder. Soll heißen, mir bleibt überhaupt keine Luft heute, kein Moment Stillstand, gerade eben habe ich das zu Nicola gesagt, erklär’s ihm, Nicola, dass ich das gerade soeben zu dir gesagt habe.«
»Das Gutachten für die Franzosen, paff .«
Ernesto betrachtet uns schweigend.
»Tut mir leid, wirklich«, sagen Nicola und ich einstimmig und schauen ihn wie zwei streunende Hunde an.
Ernesto beginnt einen Satz, beißt sich auf die Zunge und verlässt das Zimmer.
»Tür.«
Und schließt die Tür.
»Und es heißt doch dir .«
»Das haben wir gleich. Ich werde es googeln.«
»Nein, da schaue ich lieber selbst nach. Ich weiß nicht, ob man sich auf dich verlassen kann.«
»Leck mich.«
»Doch, doch, ich kenne dich. Wie lautet der Titel?«
» Ines .«
» Iris , du Armleuchter.«
Nicola und ich sind vertieft in die Analyse der Zeile Immer waren sie mit Blau geschrieben, auf Papierfetzen, die du hier und dort aufgelesen hast , als es schon wieder an der Tür klopft.
»Ja, heilige Scheiße, kann man in diesem Büro denn nicht arbeiten, ohne alle naselang gestört zu werden? Herein.«
Nicola zischt immer noch: »So ein Blödsinn…«, und ich bete, dass sich nicht Giuseppe hinter der Tür befindet.
Ein blendendes Lächeln erstrahlt im Türrahmen: Achille, ein Doppelzentner von einem Mann, fünfunddreißig Jahre alt und immer verschwitzt.
Achille ist im selben Team wie ich. Er ist der erfahrenste und ranghöchste Anwalt dort. Wenn ich für Giuseppe die Stütze seines Alters bin, dann ist Achille sein bewaffneter Arm. Wir selbst halten uns wechselseitig für zwei alte Krücken. Hallo, ihr Arschlöcher ist noch die freundlichste Anrede, die er für seine Kollegen findet. Mich dagegen nennt er manchmal seinen hübschen Knaben, seit ich nämlich seiner Frau gegenüber, die nie die Hauptstadt hatte verlassen und ihm nach Mailand folgen wollen, ein vollkommen unglaubwürdiges Alibi für ein Weihnachtsfest fern von der Familie bestätigt hatte. Unter dem Einfluss von Achilles Bitten und Drohungen hatte ich ihr versichert, dass der Gatte wegen eines ziemlich heiklen Projekts in Mailand festhänge. Was ich ihr nicht gesagt hatte, war, dass das fragliche Projekt Ludmilla hieß, aus der Ukraine stammte, in gepflegtem Ambiente empfing und vierhundert die Stunde nahm, Sauberkeit inklusive.
»Hallo, Achille«, begrüße ich ihn, ohne den Kopf zu heben.
»Was macht ihr gerade?«, fragt er und trommelt mit den Zeigefingern auf Nicolas Schreibtisch herum.
»Was hast du denn vor?«
»Ich gehe.«
»Na prima. Dann mach dich vom Acker, weil wir nämlich gerne arbeiten würden.«
»Du hast mich nicht verstanden. Ich gehe wirklich.«
»Und wohin gehst du?«
»Zurück nach Rom.«
Ich blicke vom Computer auf und schaue ihn an. Achille wirkt ernst.
»Okay«, sage ich. »Lass den Unsinn und schieß los.«
Kein Unsinn. Nach sechsjähriger Mitarbeit in der Kanzlei und hunderten von gemeinsamen Mittagessen, bei denen wir den Coup des Lebens mitsamt anschließender Flucht nach Venezuela ausgeheckt haben (»In Venezuela kann selbst ein Gauner ein neues Leben anfangen und muss nicht einmal auf seine Gaunereien verzichten«), nach unzähligen Nächten, in denen wir uns gegenseitig wachgehalten und neue Flüche auf wenig geschätzte Heilige des Kirchenjahres erfunden haben, geht Achille.
»Warum?«, frage ich und vermisse ihn schon fast.
»Luisa.«
Vor einiger Zeit schon hat Achille mir erzählt, dass es in seiner Ehe kriselt: Unverständnis, Entfernung, Einsamkeit. Die Situation scheint sich verschlimmert zu haben, da die Ehefrau, wie Achille es nennt, Anzeichen einer dramatischen Geistesstörung erkennen lässt , einer wirklich
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