Abgekanzelt: Ein Büro-Roman (German Edition)
die Krawatte zurecht, stecke die lindgrüne Mappe unter den Arm und mache mich auf den Weg.
Im Aufzug stoße ich auf einen jungen Mann, blonder Spitzbart, schwarze Hornbrille, vierter Stock, Abteilung finance .
»Welcher Stock?«, fragt er.
»Erster«, sage ich.
»Ich Erdgeschoss.«
Er schaut mich zögernd an. Dann streckt er, als hätte er eine schwierige Entscheidung getroffen, die Hand aus.
»Du bist neu, nicht wahr?«
Ich schaue ihm in die Augen und würde am liebsten sagen: Willst du mich verarschen? Ich kreise schon seit drei Jahren wie ein aus der Umlaufbahn geratener Satellit durch diese Räume. Dann sehe ich aber dieses Glänzen in seinen Augen, diesen blanken Wunsch, freundlich zu sein, und möchte ihn nicht enttäuschen. Ich öffne die Faust und drücke seine Hand.
»Campi. Andrea Campi.«
»Sehr erfreut. Ich bin Gerardo. Von oben, finance . Wir könnten irgendwann mal zusammen essen gehen, wenn du Lust hast.«
»Sehr gerne, Gerardo.«
»Gerri.«
Die Tür öffnet sich im ersten Stock.
Ich gehe hinaus.
»Noch einmal herzlich willkommen also«, sagt er und streckt sein Knie aus, um die Lichtschranke zu unterbrechen.
»Danke. Gewiss«, nuschle ich und fühle mich plötzlich müde.
»Du wirst sehen, es wird dir gefallen.«
»Jetzt reicht’s aber, okay?«
Während sich die Tür vor Gerris verblüfftem Gesicht schließt, betrete ich den Veilchensaal, wo ein Mann mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt und mit seinem Blackberry herumspielt. Sobald er mich sieht, steht er träge auf, hält mir die Hand hin, drückt die meine mit einer überheblichen Geste, setzt sich wieder und schaut aus dem Fenster, als hätte er ein üppiges Mittagsmahl erwartet und würde jetzt zur Überbrückung der Wartezeit mit einer verbrannten Focaccia abgespeist. Ich unternehme einen waghalsigen Versuch, die Atmosphäre aufzulockern, gehe hin und reiche ihm meine Visitenkarte.
»Hallo Donato. Freut mich, dich endlich persönlich kennen zu lernen.«
»Entschuldigung …« Donato hebt einen Finger und führt ihn in einer Weise wieder hinab, als würde er auf einen Pausenknopf drücken. Dann holt er sein Handy aus der Tasche und wählt eine Nummer.
»Exakt … Ja, ich bin jetzt bei den Anwälten … Nein, es ist noch keiner da.«
Ich erwäge den Gedanken, ihm eine Heftklammer ins Kinn zu jagen, aber die Befürchtung, dass die Geste negative Auswirkungen auf unsere Honorarforderungen haben könnte, lässt mich davor zurückschrecken. Stattdessen nehme ich mir ein Milch-Minz-Bonbon und setze mich ans andere Tischende.
Ich drehe einen Bleistift mit dem Logo unserer Kanzlei in meinen Fingern herum. Ich trage in meinem Block das Datum von heute ein und gebe acht, nicht auf den Rand der Kästchen zu kommen. Ich schnüre meine Schuhe auf und schnüre sie wieder zu. Ich schaue in der Gegend herum. Mein Blick fällt auf ein Bild ohne Rahmen. Es hängt an einer ähnlichen Kordel, mit der auch die Stühle zusammengebunden sind. Das Bild besteht aus drei Farben in der Anmutung von Kinderkotze: Gelb, Blau, Dunkelgrün. Es macht mir Angst. An der gegenüberliegenden Wand hängt ein Rahmen ohne Bild. Er besteht aus weißem Holz und ist mit demselben Typ Kordel befestigt. »Das Ambiente muss einen Hauch von moderner Klassizität ausstrahlen«, hat mir mal jemand erklärt. Oder von klassischer Modernität? Schon wieder vergessen. Ich verschränke die Arme.
»Donato. Schön, dich zu sehen.«
Giuseppe legt einen triumphalen Auftritt hin und streckt die Arme aus.
»Giuseppe.« Donato steht auf und streckt ebenfalls die Arme aus.
»Immer in Form, immer schön braungebrannt.«
Sie umarmen sich.
Ich weiß, dass sich Giuseppe und Donato nie zuvor gesehen haben, zumal Giuseppe nicht zum kick-off meeting gehen konnte, weil er – wie mir Achille erzählt hat – von einer schrecklichen Erkältung in Courmayeur festgehalten worden war. Die beiden liegen sich immer noch in den Armen, und ich mache meine erste Sitzungsnotiz und male eine Schlinge. Plötzlich bemerkt mich Giuseppe und breitet die Arme aus.
»Endru, heiliges Kanonenrohr, wo hast du dich denn hingesetzt? Machst du jetzt auf schüchtern? Komm hierher, komm zu uns. Donato, das hier ist unser Endru, unser großartiger Endru. Er wird bei dieser Überfahrt der Steuermann sein.«
Jetzt darf auch ich Donato anschauen, der, wie ich bemerke, keinerlei körperliche Ambitionen hegt: mittelgroß, mittelschwer und vermutlich genauso alt, wie er aussieht, nämlich fünfundvierzig. Die
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