Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
vorgewarnt. Zimmer 4011 des Hyatt-Hotels am Potsdamer Platz befand sich ganz am Ende des Ganges. Er konnte von Glück reden, dass er keinen Koffer bei sich hatte. Die Rollen wären hoffnungslos in dem Hochflorteppich stecken geblieben.
4003
,
4005
,
4007
…
Herzfeld hätte sich nicht die Mühe machen müssen, auf die Zimmernummern zu achten. Die Tür, die er suchte, war nicht zu verfehlen. Sie lag eine gefühlte Meile von den Fahrstühlen entfernt, war doppelt so groß wie die übrigen und die einzige, die zu beiden Seiten von einem Blumenbouquet gesäumt wurde.
Herzfeld roch an einer Rose, die es aber nicht schaffte, sich gegen das edelholzartige Raumspray durchzusetzen, das im ganzen Komplex der Lüftung beigemischt wurde und dessen exotischer Duft einem schon auf der Straße vor dem Hotel entgegenschwappte. Er wollte gerade anklopfen, als ihm der runde Knopf an der Tür auffiel, direkt neben dem Schlitz für die elektronische Schlüsselkarte. Er drückte ihn und hörte ein gedämpftes Summen im Inneren.
»Schön, dass Sie es einrichten konnten, Professor!«
Ingolf von Appen musste direkt hinter der Tür gewartet haben, so schnell hatte er sie geöffnet.
Er schüttelte Herzfeld die Hand, dabei strahlte er übers ganze Gesicht, die Wangen fleckig vor Aufregung. Wäre er ein Hund, dachte Herzfeld, wäre er ihm sicher zur Begrüßung die Beine hochgesprungen und hätte aufgeregt mit dem Schwanz gewedelt.
»Wollen Sie ablegen?«, fragte Ingolf noch im Eingangsbereich. Herzfeld sah sich staunend um.
Der Vorraum war größer als die Diele so manches Einfamilienhauses.
Kein Zweifel. Zimmer 4011 war kein Zimmer, sondern eine Suite. Allein der Wohnbereich, in den Ingolf ihn führte, war doppelt so groß wie ein herkömmliches Hotelzimmer; mit Esstisch, Couchecke und einem Plasmafernseher, auf dem man bequem Tischtennis hätte spielen können, wenn man ihn quergelegt hätte. Im Augenblick flimmerte eine Bierreklame tonlos über die entspiegelte Mattscheibe.
Herzfeld zählte vier Türen, die von dem Wohnzimmer abgingen, eine davon stand offen und führte in ein Badezimmer, das einem römischen Konsul zur Ehre gereicht hätte. Cremefarbener Marmor, passend zum vorherrschenden Grundton der Inneneinrichtung.
»Was soll der Aufwand?«, fragte er.
Ingolf blickte verständnislos drein, während er Herzfelds alten Wintermantel in einer in der Wand eingelassenen Garderobe verschwinden ließ. Standesgemäß wie immer trug der Sohn des Innensenators einen dunkelblauen Blazer mit goldenen Knöpfen und Einstecktuch, dazu eine graue Flanellhose und rahmengenähte Budapester. Auf die Krawatte hatte er verzichtet, vermutlich, weil es am Wochenende etwas legerer zugehen durfte. Dafür saß jedes Haar wie festzementiert, und Herzfeld fragte sich, wie lange der Junge unter der Dusche stehen musste, um all das Gel wieder herauszuwaschen.
Er selbst entsprach momentan eher dem Klischee des zerstreuten Professors. Sein brauner V-Ausschnitt-Pulli wollte weder zu dem zerschlissenen Cordsakko noch zu den Tennisschuhen passen. Er hatte sich seit Tagen nicht rasiert, weshalb sein Gesicht unterhalb der Wangenknochen wie ein einziger Schatten wirkte.
»Was meinen Sie mit Aufwand?«, fragte Ingolf, während er ihn weiter in die Suite führte.
Herzfeld zog einen wattierten Briefumschlag mit dem Familienwappen der von Appens aus der Gesäßtasche und hielt ihn hoch, wie ein Schiedsrichter eine rote Karte. »Ich meine diese Einladung hier. Sie haben geschrieben, wir sollten uns auf einen Kaffee treffen. Weshalb mieten Sie dafür die Präsidentensuite in einem Fünf-Sterne-Hotel?«
Für einen Moment sah Ingolf noch eine Spur verwirrter aus, dann musste er herzhaft lachen. »Nein, das ist ein Irrtum, Professor. Die Suite habe ich doch nicht speziell für unseren Termin heute angemietet.«
»Sondern?«
»Ich wohne hier.«
Herzfeld sah sich erneut um. »Das ist nicht Ihr Ernst.«
»Doch. Seit einem halben Jahr. Ich hab es bei meinem Alten zu Hause nicht mehr ausgehalten, und da musste eine schnelle Lösung her. Es ist zwar noch etwas unpersönlich eingerichtet, aber während meines BWL -Studiums will ich mir den Stress mit den Innenarchitekten nicht antun, wie Sie sicher verstehen.«
»Klar«, sagte Herzfeld trocken. »Welcher Student kennt diese Probleme nicht?«
Er sah zu den bis zum Fußboden reichenden Panoramafenstern, durch die man einen beeindruckenden Blick über die Berliner Philharmonie zum Tiergarten hatte.
»Sie halten mich
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