Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
Ex-Frau an, und ihr Scheidungsgrund ging persönlich an den Apparat. Vor zwei Jahren hatte Petra ihm Normen als ihre rechte Hand in dem von ihr geleiteten Architekturbüro vorgestellt. Zwei Monate später hatte diese rechte Hand in ihrem Höschen gesteckt.
»Wo ist sie?«
»Petra ist leider schon im Flugzeug. Darf ich etwas ausrichten?«
»In was für einem Flugzeug?«, fragte er verwirrt.
»Ein Airbus 380 «, kam es überheblich zurück. Erst jetzt realisierte Herzfeld die typischen Geräusche eines internationalen Flughafens im Hintergrund: das Stimmengewirr, der Standardgong, der einer Durchsage in mehreren Sprachen voranging. Petra war spezialisiert auf die Entwicklung von Großbaustellen für Einkaufszentren in aller Welt, es war daher nicht ungewöhnlich, dass sie mit ihrem Privatsekretär auf Reisen war. Kaum vorstellbar hingegen war, dass Petra ihm ihr Handy anvertraut haben sollte. Vermutlich hatte sie seinen Namen im Display gelesen und das Telefon weitergereicht.
»Hören Sie, es ist sehr wichtig. Ich muss sie wirklich dringend sprechen«, bat Herzfeld. Fast wäre ihm »Es geht um Leben und Tod« herausgerutscht, aber das hätte seine Tochter womöglich in Gefahr gebracht.
»Du darfst niemandem etwas sagen!«
Normen räusperte sich affektiert. »Ich würde Sie ja gerne mit Petra verbinden, aber Qantas macht auch in der ersten Klasse keine Ausnahme.«
Qantas?
»Ist sie etwa in Australien?«
Er hatte schon beim ungewöhnlichen Klingelton vermutet, dass es sich um ein Ferngespräch handeln musste.
»Neuseeland, auch wenn ich nicht wüsste, was Sie das angeht.«
Am liebsten hätte Herzfeld dem Idioten sämtliche Schimpfworte an den Kopf geworfen, die ihm auf der Zunge lagen, doch dann hätte der Schleimkriecher noch schneller aufgelegt, als er es gewiss ohnehin schon beabsichtigte.
»Hören Sie, es war nett, mit Ihnen zu plaudern, aber jetzt muss ich einchecken, und das Bodenpersonal bittet mich, sofort mein Mobilfunk…«
»Ist meine Tochter bei Ihnen?«, unterbrach Herzfeld ihn mit der Frage, die er seiner Frau persönlich hatte stellen wollen. Zwar hatte er wenig Hoffnung, die Mailboxansage könnte eine Fälschung sein, aber im digitalen Zeitalter war es ein Leichtes, eine authentisch klingende Sprachnachricht aus alten Aufnahmen zusammenzuschneiden. Er musste systematisch jeden Zweifel an Hannahs Entführung eliminieren, so winzig er auch sein mochte. Erst dann konnte er sich voll und ganz auf ihre Befreiung konzentrieren.
»Hannah?« Normen klang ehrlich erstaunt. »Nein, sie hat uns nicht begleitet. Falls es Ihnen entfallen sein sollte, Professor, Ihre Tochter muss zu Hause für das Abitur lernen.«
Aber zu Hause kann ich sie nicht erreichen!
»Kennen Sie Hannahs Handynummer?«
»Ja. Aber nach allem, was ich gehört habe, wäre es nicht in ihrem Interesse, sie weiterzugeben. Sie entschuldigen mich.«
Und mit diesen Worten hatte der Mistkerl tatsächlich aufgelegt.
Wütend ballte Herzfeld die Faust um das Handy. Am liebsten hätte er es gegen die Wand geworfen oder, noch besser, in die Glasvitrine mit den historischen Exponaten hinein, die ihm die Fakultät zu seinem vierzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Vielleicht hätte er seinem Drang sogar nachgegeben, hätte das Telefon nicht in dieser Sekunde in seiner Hand vibriert.
Er starrte auf das Display und ließ einige Intervalle verstreichen, bevor er die Aufnahmefunktion aktivierte und das Gespräch entgegennahm. Obwohl der unbekannte Teilnehmer mit unterdrückter Rufnummer anrief, war Herzfeld sich ziemlich sicher, wer ihn erreichen wollte.
Er vermutete einen Mann mit verstellter Stimme, der sich über einen verschlüsselten, im Ausland verwalteten Internetrouter eingewählt hatte.
Hannah hatte gesagt, er würde sich
Erik
nennen.
11. Kapitel
Helgoland.
D as Atelier unter dem Dach war das einzige abschließbare Zimmer im Haus. Außerdem war es mit einem Blick überschaubar, es gab keine Betten, unter denen man sich verstecken, keine Schränke, aus denen ein Eindringling hervorspringen und sie von hinten anfallen könnte. Linda hatte den Riegel der Holztür vorgelegt und zusätzlich einen Stuhl mit fester Metalllehne unter die Klinke gestellt. Trotzdem fühlte sie sich hier im Dachgeschoss nicht mehr sicher. Nicht, seitdem sie gestern bemerkt hatte, dass jemand in ihrem Bett gelegen hatte. Und erst recht nicht, seitdem sie aus dem Haus geflüchtet war, um am Westufer eine Leiche zu finden.
Allein dem Bitten und Drängen
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