Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
darüber, dass sein Glied nicht schneller wieder steif wurde. Dann hatte er sie eine Weile allein gelassen, und das waren fast die schlimmsten Momente ihres Martyriums gewesen. Nicht zu wissen, wann es weiterging und mit welchem Folterinstrument er wieder zu ihr zurückkam.
Das alles hatte vor drei Tagen begonnen.
Wenn meine Toiletten-Rechnung stimmt.
Zu Hause (wo immer das gewesen sein mochte) war sie höchstens einmal am Tag gegangen, und hier hatte sie sich schon dreimal entleeren müssen. Ihr Kot war durch die Metallfedern des matratzenlosen Pritschenbetts gefallen. Zur Bestrafung hatte der Entführer ihr eine volle Bierbüchse ins Gesicht geschlagen. Wenn sie jetzt die Stelle, an der früher ihre Schneidezähne gewesen waren, mit der Zunge berührte, schoss ihr der Schmerz direkt ins Gehirn und legte dort einzelne, lückenhafte und völlig unbrauchbare Erinnerungen an ihre Vergangenheit frei: zum Beispiel, dass sie auf den Führerschein sparte, im Chemieleistungskurs beim Abschreiben erwischt worden war und sich ohne Einwilligung ihrer Mutter einen Schmetterling auf den Knöchel hatte tätowieren lassen.
Tut mir leid, Mama. Ich hoffe, du bist mir nicht böse.
Schon in der ersten Nacht hier im Keller hatte sie gespürt, wie sich ihr Geist von ihrem Körper trennen wollte. Sie war in einen fiebrigen Schlaf verfallen und hatte geträumt, dass sie wieder neun Jahre alt war und mit ihrem Vater
»Wenn du müsstest«
spielte. Das Spiel war auf den langen Busfahrten durch Berlin entstanden; ihre »Touren«, wie sie es genannt hatten. Die wenigen Wochenenden, an denen ihr Vater nicht arbeiten musste, hatten sie sich stets in eine andere Linie gesetzt und oben, von der vordersten Reihe des Doppeldeckers aus, die Stadt erkundet. Mit ihrer Frage »Wenn du müsstest, Papa, würdest du eher einen Liter saure Milch trinken oder ein Glas Wurstwasser?« hatte alles begonnen.
»Iiih, eklig. Keines von beiden.«
»Das gilt nicht.«
»Ich muss mich entscheiden?«
Sie hatte mit den Augen gerollt, als wäre ihr Vater schwer von Begriff. »Deswegen heißt es doch:
Wenn du müsstest.
«
Und dann hatte er das Wurstwasser gewählt, und sie musste kichern. »Boah, bist du eklig.«
Ihr Vater hatte lachend gekontert: »Okay, wenn du müsstest: Würdest du lieber Markus oder Tim einen Kuss geben?« Er wusste, dass sie beide nicht leiden konnte, und sie hatte sich wie erwartet den Finger in den Mund gesteckt und geschlagene zehn Minuten gebraucht, um sich für einen der beiden Klassenkameraden zu entscheiden.
Aber für wen nur? Markus oder Tim?
Sie war aus dem Schlaf geschreckt, und so wie die Reste des Geträumten kurz nach dem Aufwachen ins Nichts verschwanden, lösten sich die wenigen verbliebenen Erinnerungsfetzen mit dem Schrei auf, der ihr entwich, als sie bemerkte, dass der Psychopath wieder zu ihr in die Hölle zurückgekommen war und sich erneut daranmachte, sich an ihr zu vergehen.
10. Kapitel
Berlin.
H erzfeld stand mit dem Handy in der Hand vor dem Panoramafenster seines Büros im achten Stock der Treptowers. Der beeindruckenden Aussicht auf die Skyline Berlins und der mit Eisschollen bedeckten Spree zu seinen Füßen schenkte er keine Aufmerksamkeit.
Wieder und wieder hatte er die Mailboxansage seiner Tochter abgehört, und jedes Mal aufs Neue war die Hoffnung enttäuscht worden, weitere Hinweise auf Hannahs Verbleib zu erhalten. Wenn sie versteckte Botschaften in ihrer Ansage plaziert hatte, dann konnte er sie nicht entschlüsseln. Nach seinem vierten Versuch wählte er die Festnetznummer ihres ehemaligen gemeinsamen Wohnsitzes, aber in dem Einfamilienhaus am Schlachtensee ging niemand an den Apparat.
Am liebsten hätte er es direkt auf Hannahs Handy versucht; nach seinem Auszug jedoch hatte sie sich in einer Trotzreaktion eine neue Nummer zugelegt und sie ihm bis heute nicht mitgeteilt.
Er schluckte und wählte erneut.
»Apparat Frau Dr. Schirmherr, guten Tag?«
Normalerweise versetzte es ihm einen Stich, wenn er den Mädchennamen seiner Frau hörte, den sie noch während des laufenden Scheidungsverfahrens wieder geführt hatte, bevor die Trennung rechtskräftig wurde. Jetzt war nicht die Zeit für Selbstmitleid.
»Hallo, Normen, ich bin’s, Paul. Ich muss mit Petra sprechen.«
»Worum geht es denn?«, fragte der Mann am anderen Ende. Das spöttische Grinsen war trotz der schlechten Verbindung unüberhörbar. Verdammt, das durfte doch nicht wahr sein. Da rief er ein einziges Mal freiwillig seine
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