Abgeschnitten: Thriller (German Edition)
wenn sie keine Luft mehr bekam.
Noch verletzbarer. Noch verzweifelter.
Hannah hatte Asthma. Unter normalen Umständen waren ihre regelmäßig auftretenden Anfälle kein Problem. Ihr Inhalationsspray wirkte binnen Sekunden und ermöglichte ihr ein nahezu normales Leben mit Sport und allem, was ein junger Mensch gerne tat. Gefährlich wurde es nur, wenn sie ihr Salbutamol nicht dabeihatte; so wäre sie vor drei Jahren, als sie ihre Jacke bei einer Freundin vergessen hatte, um ein Haar in der U-Bahn erstickt, wenn ihr nicht ein anderer Fahrgast, der ebenfalls unter Asthma litt, mit seinem Spray ausgeholfen hätte. Soweit Herzfeld wusste, war das der letzte ernsthafte Zwischenfall gewesen, aber hier konnte er sich irren, denn seit seinem Auszug tat seine Ex-Frau alles, um den Kontakt zwischen Vater und Tochter auf ein Minimum zu reduzieren. Zuletzt hatte sie ihn sogar zu Weihnachten wieder ausgeladen, um mit ihrem neuen Freund feiern zu können.
Hannah litt am meisten unter der Trennung und hatte bei ihren sporadischen Treffen keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ihn für das Scheitern der Beziehung verantwortlich machte. Dabei hatte Petra ihn betrogen. Bei den wenigen Begegnungen in der jüngeren Vergangenheit waren die Unterhaltungen zwischen Vater und Tochter kaum über Smalltalk hinausgekommen. Er wusste nicht, ob sie derzeit verliebt war, ob sie den Führerschein hatte oder wie es in der Schule lief.
Umso entsetzlicher war es, dass er jetzt seit Wochen zum ersten Mal wieder ihre Stimme hörte, weil er ihren Hilferuf in dem Kopf einer bestialisch zugerichteten Leiche gefunden hatte. Und das, was sie sagte, machte das Grauen nur noch schlimmer: »Ich hab Angst zu sterben, Papa.«
Angst? Sterben?
Diese Worte passten nicht zu dem Bild, das er von seiner Tochter in seinem Herzen konserviert hatte: wild, unbezähmbar, lebendig. So sehr entschlossen, sich vom Schicksal nicht unterkriegen zu lassen, dass sie mit Marathonläufen gegen ihr Asthma angerannt war. Von ihm hatte sie die wachen dunklen Augen geerbt und das ansteckende offene Lachen; von ihrer Mutter die dichten hellen Locken. Zu dem energischen Dickkopf hatten ganz sicher beide Elternteile ihr Quantum beigetragen …
»Ich weiß, dass er mich umbringen wird«, weinte sie auf der Aufnahme. Ihr Nachsatz war kaum zu verstehen. Hannah war außer sich, was Herzfelds verzweifelte Hoffnung, es könnte vielleicht nicht ganz so schlimm um sie stehen und sich um irgendeinen bizarren Scherz handeln, im Keim erstickte.
»Er bringt mich um, wenn du nicht genau das tust, was er sagt. Er kontrolliert jeden deiner Schritte.«
Herzfeld meinte das Gleichgewicht zu verlieren und tastete nach dem Türgriff, um sich daran festzuhalten.
»Bitte, ich weiß, du kennst tausend Leute beim BKA , aber du darfst mit niemandem sprechen, hast du verstanden? Sonst muss ich sterben …« Sie brach erstickt ab.
Wer? Wie? Warum?
»Liebes, wo bist du?«, fragte er, als könnte ihm die Mailbox eine Antwort geben. Herzfeld hörte den Klang seiner eigenen Stimme, was ein surreales, fast schizophrenes Gefühl erzeugte. Er hatte die Kinderleichen nicht gezählt, die im Laufe seiner Karriere auf seinem Obduktionstisch gelandet waren. Und jetzt sollte plötzlich das Leben seiner eigenen Tochter auf dem Spiel stehen?
Worum geht es? Etwa um Geld?
»Warte auf Erik«, hörte er sie noch sagen, ohne zu begreifen, was sie damit meinte. »Er hat weitere Anweisungen für dich.«
Erik? Wer zum Teufel ist …?
»Zu niemandem ein Wort, Papa. Sonst werde ich sterben.« Sie schluchzte, dann hörte Herzfeld nur noch ein langgezogenes Piepen, und die Leitung war tot.
8. Kapitel
S ein Zusammenbruch währte nur wenige Minuten. Hätte jemand in dieser Zeit einen Blick über die Kabinenverschalung der Toiletten geworfen, hätte er dahinter einen auf dem WC -Deckel kauernden Mann gesehen, der verzweifelt mit beiden Händen die Knie zusammenpresste, damit sie nicht unkontrolliert gegeneinanderschlugen. Herzfeld war allein in den Waschräumen, daher gab es niemanden, der sein unterdrücktes Stöhnen oder seinen gehetzten Atem hören konnte.
Die Schockwellen der Nachricht ebbten langsam ab. Er fühlte sich noch immer wie nach einem Sprung von einem Felsen in eisiges Wasser. Der Aufprall war brachial gewesen und hatte ihn in einem alles erstickenden, tosenden Strudel nach unten gerissen. Doch genauso blitzartig, wie er von der Mailboxansage in ein Meer der Angst gestoßen worden war, so schnell kämpfte
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