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Abgeschnitten: Thriller (German Edition)

Abgeschnitten: Thriller (German Edition)

Titel: Abgeschnitten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek , Michael Tsokos
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es im Bootshaus von Sekunde zu Sekunde bessergegangen war, hatte für den Porsche plädiert:
»Standheizung … aktiv … Sitzheizung … sofort abhauen.«
    Doch Herzfeld hatte sich durchgesetzt und den Rückweg zum Haus eingeschlagen, was sich am Ende als die lebensrettende Entscheidung herausstellen sollte, denn Ingolf hatte sich überschätzt. Mit entkleidetem Oberkörper, nur notdürftig in eine alte Filzdecke gewickelt, die als Windfang an die Tür genagelt gewesen war, hatte er keine zwei Schritte aus eigener Kraft bewältigen können. Er knickte ein, kaum dass sie den Schutz des Schuppens wieder verlassen hatten. Herzfeld nahm Ingolf erneut huckepack und musste ihn mehrfach absetzen, bevor sie den Garteneingang des Herrenhauses erreicht hatten.
    Im Vergleich zu ihrer Ankunft hatte sich das Innere des Anwesens merklich abgekühlt, aber es herrschten immer noch hochsommerliche Temperaturen im Speisesaal, was sich im ersten Moment als Wohltat, im zweiten als Qual entpuppte. Das Blut dehnte sich in den Gefäßen aus, und Herzfeld musste sich auf die Zunge beißen, um nicht vor Schmerz loszuschreien. Es war paradox. Vor wenigen Sekunden noch hatte er geglaubt zu erfrieren. Jetzt sehnte er sich schon wieder nach frischer Luft, so sehr spannte die Haut wegen der plötzlichen Wärme. Trotzdem hatte Herzfeld, sobald er dazu in der Lage gewesen war, den Heizlüfter im Speisesaal aktiviert, auch wenn dadurch der Gestank des verwesenden Schweins aufgewirbelt wurde. Ihre Körper benötigten dringend Wärme, auch wenn es sich nicht so anfühlte.
    »Danke«, sagte Ingolf nach einer Weile, ohne Herzfeld anzusehen. Er musste etwas lauter sprechen, um das Rauschen zu übertönen.
    Sie hatten sich beide bis auf die bloße Haut ausgezogen und knieten jetzt, in warme Wolldecken gewickelt, die Herzfeld in einer Truhe im Flur gefunden hatte, schon seit einer geraumen Weile in der Nähe des Standgebläses.
    Herzfeld schüttelte abwehrend den Kopf.
    »Doch, Sie haben mir das Leben gerettet.« Ingolf lächelte matt, dann schluckte er. »Mann, ich hätte nie gedacht, dass ich diesen abgegriffenen Spruch einmal selbst sagen würde.«
    Herzfeld wollte etwas erwidern, aber es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Auf den wenigen Metern zum Haus hatte er nur an das eigene Überleben gedacht. Jetzt wanderten seine Gedanken wieder zurück zu Hannah. Und zu Linda.
    Er sah zur Speisetafel, auf der sein Handy lag.
    »Aber es stimmt«, hörte er Ingolf insistieren. Die Stimme des Praktikanten hatte sich verändert. Sie war belegt und wurde brüchig. »Ich stehe tief in Ihrer Schuld.«
    Herzfeld warf ihm einen fahlen Blick zu und blieb noch weitere zehn Sekunden in der Nähe des Wärmestrahls, bevor er es wagen wollte, zu seinem Mobiltelefon auf dem Tisch zu kriechen.
    »Sie sind mir was schuldig, wenn Sie nicht aufhören, wie ein Schauspieler in einer billigen Seifenoper zu klingen«, sagte er und stand auf.
    Ingolf lächelte wieder. »Apropos Schauspieler. Hat Ihnen eigentlich schon mal jemand gesagt, dass Sie aussehen wie dieser Arzt, wie heißt er noch …«
    »Schnauze!«, unterbrach Herzfeld ihn rüde, aber mit einem Lächeln in der Stimme.
    »Nein, das war nicht sein Name«, versuchte Ingolf, lustig zu sein. »Aber Sie haben recht, mit S fängt er an.« Er kicherte lauter und länger, als es dem müden Schlagabtausch angemessen war, und auch Herzfeld hätte am liebsten schallend losgelacht; nicht, weil er Freude empfand, sondern, um diese Beklemmung loszuwerden, die ihn noch immer gefangen hielt, seitdem sie dem Tod entkommen waren. Doch im Gegensatz zu Ingolf fehlte ihm die Kraft für überflüssige Gefühlsregungen. Er musste sich ganz darauf konzentrieren, den Esstisch zu erreichen, ohne über die Decke zu stolpern.
    Hannah,
dachte er, als der Verwesungsgestank des Kadavers wieder stärker wurde, je näher er dem Tisch kam.
    Beim Gehen spürte Herzfeld erst, wie müde er war. Die Wärme war jetzt angenehmer und schmerzte nicht mehr so sehr, stattdessen wirkte sie wie ein Schlafmittel. Zum Glück fühlte er nicht die typische Apathie vieler Kälteopfer, deren Lebensgeister langsam ausglühen, wenn man ihre Unterkühlung nicht rechtzeitig in den Griff bekommt. Ist die Körpertemperatur erst einmal unter eine kritische Marke gefallen, helfen keine Heizstrahler der Welt mehr.
    Herzfeld fühlte ein Ziehen, als hätte er am gesamten Körper Muskelkater, aber das war der beste Hinweis darauf, dass er den heutigen Tag überleben würde.

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