Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
– sank mit den Gläubigen auf die Knie, als der die Menge segnende Bischof Bernhard von Halberstadt und Abt Anno mit den geweihten Gegenständen, die göttliche Macht verliehen, vorüber zogen.
Otto war das recht und er genoss es. Er versäumte keine Messe und empfing die Prozession hoch zu Ross am Tor der Pfalz, wo er die heilige Lanze noch einmal ergriff und die Faust mit ihr im Triumph zum Himmel reckte. Wie ein ehernes Standbild ragte er vor dem strahlend blauen Frühlingshimmel und die Menge, die zu ihm aufblickte, schwieg ergriffen beim donnernden Jubelgesang der Mönche.
Der König gab auch aus Anlass des Sieges bei Birten ein Festmahl nach dem anderen und jedes Mal waren es mehr vornehme Gäste, die sich um die langen Tische mit Goldgeschirr, köstlichen Speisen und edlen Getränken versammelten. Da das Wetter freundlich und mild war, konnte man dazu schließlich aus der Halle auf den weiten Platz vor dem Palatium umziehen. Täglich reisten in diesen Tagen Grafen, Vögte, Burgherren, Äbte und Prioren an, um dem siegreichen Herrscher zu gratulieren und ihm zum Dank für die gewaltige Tat ein Geschenk zu überreichen. Auch der Burgherr Walram erschien mit seiner Gemahlin Ermesinde, die diesmal nur eine einfache Glasperlenkette trug, und überreichte, was er aufbringen konnte – einen Goldbarren von mäßigem Gewicht. Das Geschenk wurde entsprechend gewürdigt und das Paar durfte ganz am Ende der Tafel Platz nehmen.
Unbeschwerte Festfreude wollte allerdings nicht aufkommen. Die vom König besiegten Feinde hatten sich wieder – wie schon im vorigen Jahr – im eigenen Reich erhoben. Um die Lothringer und ihren Herzog Giselbert, dessen Schicksal ungewiss war, den sie aber |221| kaum kannten, tat es den Sachsen nicht leid. Doch zwei junge Edelinge aus den vornehmsten sächsischen Familien waren gefallen und wurden betrauert. Und dass der hoffnungsvolle jüngere Bruder des Königs ums Leben gekommen war, empfanden auch diejenigen als Verlust, die nicht seine heimlichen Parteigänger gewesen waren. Dies laut auszusprechen, wagte zwar niemand, doch hinter vorgehaltener Hand war der Tod des Prinzen dieser Tage das meisterörterte Thema. Dabei stellte sich heraus, dass alle die Todesnachricht aus derselben Quelle hatten, entweder unmittelbar oder mittelbar durch Weiterverbreitung: von dem Thüringer, der Heinrich auf dem Schlachtfeld sterben gesehen hatte. Viele fanden es seltsam (obwohl sie auch das natürlich nicht laut sagten), dass dieser Dadi, der sich ihnen als geflohener Gefangener vorgestellt hatte, jetzt in Magdeburg frei herum lief, sich in der Umgebung des Königs aufhielt und offenbar ein gewisses Ansehen genoss. Noch seltsamer war die Erscheinung jenes Doppelgängers, der – wie sie sich im Flüsterton mitteilten – bei allen Verschwörern von Saalfeld erschienen war und Aufnahme begehrt hatte. Keiner hatte ihn eingelassen, aber keiner wollte ganz sicher sein, dass es nicht doch der Prinz gewesen sein könnte. Zumal ein neues Gerücht die Runde machte: Markgraf Gero sei im südlichen Sachsen unterwegs, um eine Gruppe vom Schlachtfeld Geflüchteter zu verfolgen, als deren Anführer kein anderer als der verwundete Heinrich vermutet wurde.
Otto äußerte sich dazu nicht. Wenn von der Schlacht bei Birten die Rede war, sprach er immer nur von der Verräterei seines Schwagers, des Herzogs Giselbert, der seine gerechte Strafe erhalten habe. Die Teilnahme Heinrichs tat er als nicht erwiesen ab und man merkte bald, dass er darüber nicht zu sprechen wünschte. Sogar die Königin zog sich seinen Unmut zu, weil sie immer wieder in heftige Klagen über das Unglück des unbesonnenen jungen Mannes ausbrach, an seinen Tod nicht glauben wollte und ihn drängte, sich endlich Aufklärung über seinen Verbleib zu verschaffen. Immer wieder fand Edgith den Weg zur Kirche, um mal für das Seelenheil, ein andermal, wenn das neueste Gerücht wieder Hoffnung verhieß, für die Rettung Heinrichs zu beten.
Tatsächlich wusste Otto nichts Genaues darüber, was aus seinem Bruder geworden war. Einige Teilnehmer der Schlacht, die er befragte, wollten ihn im Getümmel gesehen haben. Unter den Gefallenen und Verwundeten wurde er nicht gefunden. Später hatten als |222| Bauern und Fischer verkleidete Kundschafter, die ausgesandt worden waren, um nach dem Verbleib der beiden Anführer der Erhebung zu forschen, zuerst die Nachricht gebracht, Heinrich lebe. Er sei mit einer Gruppe Davongekommener irgendwo flussaufwärts in einer
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