Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
bekömmlich wird.“
|224| „Ich werde selbstverständlich zu rühmen wissen, was Ihr mit Hilfe der heiligen Lanze vollbracht habt. Es wird sie trösten, wenn sie erfährt, dass Ihr in der Gnade des Herrn seid, auch wenn dafür vielleicht ein schmerzliches Opfer gebracht werden musste. Das Wunder von Birten, Gottes Eingreifen in der höchsten Not zur Rettung des Reiches, wird sie stärken und aufrichten.“
„Sehr weise gesprochen, Bischof. Nun geh mit Gott.“
„Der Herr segne Euch, König.“
Bernhard grüßte auch die drei Würdenträger und zog sich zurück.
Otto packte plötzlich die Lust zu lachen. Er winkte noch einmal dem Knecht mit der Weinkanne.
„Wenn der wüsste …“, stieß er unter Kichern und Glucksen hervor. „Wenn der wüsste, wie das Wunder von Birten zustande kam!“
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„Wir wissen darüber nur Ungefähres“, bemerkte vorsichtig der Abt des Mauritius-Klosters, Anno, ein kleiner Mann mit schmalem, durchgeistigtem Gesicht. „Genaues hat uns niemand berichten können. War es denn nicht ein Wunder Gottes?“
„Einige, die dabei waren, in dieser Schlacht bei Birten“, sagte Poppo, „erzählen in den Schänken alles Mögliche, was man kaum glauben kann. Sprechen davon, dass es sich um eine Art Kriegslist handelte. Es soll ein tolles Stück gewesen sein. Wahre Heldentaten wurden vollbracht.“
„Dann hatte Gott die Hand im Spiel“, meinte Hadalt ironisch. „Heutzutage sind Heldentaten nur noch mit Gottes Hilfe möglich. Er beansprucht immer seinen Anteil daran.“
„Nicht immer zu Recht“, widersprach König Otto, nachdem er noch einen Schluck genommen hatte. „Es war so: Als die Schlacht begann, hatte sich Gott im Himmel gerade zu einem Schläfchen niedergelegt. Warum auch nicht? Er erschuf die Welt und herrscht über sie … harte Arbeit. Er muss sich ab und zu auch mal ausruhen. So nahm er nicht wahr, was auf Erden passierte … den vom Teufel befohlenen Angriff auf uns. Wir Gottesfürchtigen waren vollkommen auf uns allein gestellt.“
|225| „Aber Ihr hattet doch die heilige Lanze!“, warf der Abt ein.
„Ich hatte sie – im Gepäck. Nicht zur Hand. Mein Tross hing zwei Meilen zurück, als es losging. Leider hat sie keine Flügel und flog mir nicht zu, als ich sie benötigte. Bedauerlich. Jedenfalls musste ich ohne die heilige Lanze zurechtkommen.“
„So war es allein die Kraft Eures Gebetes …“
„Auch zum Beten kam ich nicht, guter Vater, weil ich gerade beim Frühstücken war und alles sehr schnell ging … und weil … nun, es war ja eigentlich gar keine Schlacht, sondern nur ein kleines, kurzes Gefecht …“
„Keine Schlacht?“, fragte Poppo erstaunt. „Aber es sollen doch gewaltige Heere mit Tausenden Kämpfern aufeinander getroffen sein. So erzählen sie es auch in den Schänken.“
„Sie lügen“, sagte Otto auflachend. „Da die Lüge nun einmal in die Welt gesetzt ist, widersprechen sie nicht. Denn warum sollten sie? Je stärker der Feind, desto größer der Sieg! Die Unsrigen waren nicht mehr als hundert Gepanzerte, die Lothringer höchstens dreihundert.“
„So wenige?“, rief Poppo.
„Es wunderte mich auch sehr“, bemerkte Hadalt, „dass Herzog Giselbert angeblich mehrere tausend Mann auf die Beine gebracht hatte. Wie es dieser Thüringer Dadi behauptet.“
„Ja, das Ereignis war eher unbedeutend“, sagte Otto. „Er aber half mir, daraus den größten Nutzen zu ziehen. Denn nicht auf das, was wirklich geschehen ist, kommt es an, sondern auf das, was man davon erzählt. Nicht das Ereignis, sondern die Erzählung verursachte so viel Schrecken, dass die ganze Verschwörung von Saalfeld zusammenbrach.“
Ottos rundes, breites Gesicht war gerötet, die kleinen Augen funkelten vor Vergnügen. Er öffnete den Gürtel und lehnte sich, die kurzen Beine von sich streckend, bequem in seinem Armstuhl zurück.
„Ihr macht uns neugierig, Herr“, sagte Hadalt. „Wollt Ihr uns nicht den tatsächlichen Hergang erzählen? Oder ist das so streng geheim?“
„Nun gut, ohnehin wird früher oder später alles herauskommen, aber dann hat die Erzählung längst über das Ereignis triumphiert. Hört also die Wahrheit … Ich zog an den Rhein mit fünf Hundertschaften. Von Agina wusste ich, dass Heinrich zu Giselbert unterwegs |226| war und wo die Lothringer über den Fluss kommen sollten. Ich lege mich also am Ostufer auf die Lauer. Eine Hundertschaft habe ich bei mir, die vier Übrigen liegen zwei Meilen vom Fluss entfernt, damit sie vom
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