Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
bin ich dir schuldig? Als Lehrer im Waffenhandwerk hast du mir nicht viel beibringen können. Jedenfalls war es nicht mehr als das, was du allen Jungmannen beibrachtest – vorwärts stürmen und tüchtig draufhauen. Was ich als König über den Krieg wissen muss, konnte ich bei dir nicht lernen … Ja, ich weiß, du hast manches Heldenstückchen geliefert. Warst im dicksten Getümmel ein tollkühner Kämpfer. Zeigtest uns hundert Mal deine Narben. Aber was nützt es mir heute, wenn schon beim ersten Anstürmen Hunderte solcher Giganten im Pfeilregen der Magyaren niedersinken, ohne nur einen einzigen Schwertstreich zu tun! Solche Helden kann ich nicht brauchen!“
Otto gab der hölzernen Bierkanne, die auf dem Zeltboden lag, einen Fußtritt und traf den Mann, der im selben Augenblick eintrat. Es war Hermann, der jüngere der beiden Billunger. Als Einziger im Feldlager hatte er freien Zugang zum König und musste nicht angemeldet werden. Die beiden waren fast gleichaltrig, hatten dieselbe Erziehung genossen und waren schon als Kinder unzertrennlich gewesen.
Hermann rieb sich das Schienbein.
„Kein schlechter Schuss, König“, sagte er. „Aber du solltest versuchen, den Feldherrn des Feindes außer Gefecht zu setzen – nicht deinen eigenen!“
„Danke für den Rat“, erwiderte Otto. „Bei der nächsten Belagerung stellst du mich unter die Katapultschützen.“
Sie gaben sich lachend die Hand. Hermann Billung, nur wenig größer als der König, hager, mit grauen Augen, scharf geschnittenen, |31| kantigen Zügen und einem gesträubten, verwegenen Schnurrbart, riss sich die Fellkappe vom Kopf und warf sie auf die Bank.
„Wichmann war bei dir? Hat er sich noch einmal beschwert?“
„Ja“, sagte Otto. „Dein Bruder trat zu seinem letzten Gefecht an und musste vom Schlachtfeld getragen werden.“
„Ich sah es. Seit gestern spielt er den Kranken.“
„Aber vor allem den Gekränkten.“
„Ich hörte gerade noch, wie du sagtest, dass du solche Helden nicht brauchen kannst.“
„Jedenfalls nicht zu viele davon und nicht an der Spitze des Heeres. Zu viele Helden im Heer sind die beste Voraussetzung für eine Niederlage.“
Die alten Freunde lachten.
„Inzwischen hast du noch einen weniger davon in deinem Aufgebot“, sagte Hermann. „Ich weiß aber nicht, ob er mehr Held oder Maulheld war.“
„Wen meinst du?“
„Ekkehard, Liudolfs Sohn.“
„Was ist mit ihm?“
„Er ist tot. Rannte in eine Falle und wurde von den Redariern niedergemacht. Mit ihm noch siebzehn andere.“
„Ist das wahr?“, rief Otto. „Wie das?“
„Ich hab mich beeilt, um es dir zu melden. Ein Einziger kam davon, verwundet. Sie waren neunzehn und alle anderen liegen jetzt da hinten im Moor. Möchte wissen, welcher Teufel diesen Ekkehard ritt, die geschlagenen Wenden noch einmal anzugreifen!“
Der König ließ sich auf die Bank sinken.
„Der Teufel war ich“, knurrte er.
„Das erkläre mir“, sagte der Billunger.
„Die Erklärung ist einfach: Wenn du solchen Herren etwas verbietest, dann tun sie es gerade! Das hätte ich bedenken müssen.“
„Wusstest du denn davon, dass er …?“
„Ich hätte es ahnen müssen. Gestern Abend kam er zu mir, ganz grün vor Wut. Noch einer, der sich benachteiligt und übergangen fühlte. ‚Warum ernennst du den Billunger zum Feldherrn, König? Ist er mehr wert als ein Sohn des Liudolf, aus alter Familie? Glaubst du, nur er kann ein Heer zum Sieg führen? Ich werde dir noch heute beweisen, dass ich mit weniger Männern einen viel größeren Sieg erringen kann!‘ Ich fragte ihn, ob er betrunken sei. Als ich |32| aber merkte, dass es ihm Ernst war, sagte ich: ‚Der Krieg ist zu Ende! Unser Ziel ist erreicht, sie sind unterworfen und werden wieder Tribut zahlen. Ich verbiete dir, noch einmal anzufangen!“ Da machte er kehrt und ging beleidigt davon.“
„Und dann ging er von Zelt zu Zelt“, sagte Hermann, „und sammelte Freiwillige. Und als es heute Morgen hell wurde, zogen sie los. Hinein in den Sumpf, hinter dem die Burg liegt, in die sich die Redarier geflüchtet haben. Diese Wahnsinnigen! Dringen in ein Sumpfgebiet ein, das ihnen unbekannt ist, wo sich aber der Feind bestens auskennt und Wachen aufgestellt hat. Kaum sind sie drinnen, sehen sie sich umzingelt. Pfeile und Lanzen fliegen heran. Sie flüchten tiefer hinein, versinken in Moorlöchern, werden niedergemacht. Bis auf den einen.“
„Das kommt nur daher“, sagte König Otto, düster vor sich hin
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