Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
aufzubringen.“
„Ihr seid verlobt.“
„Oh, das ist wahr! Mit einer gewissen Judith, einem bayerischen Trampel, zwölf Jahre alt. Zum Glück ist sie viele Meilen weit fort von hier.“
„Warum lasst Ihr mich nicht in Ruhe?“
„Willst du schon ruhen wie Onkel Siegfried? In der Grabkammer für lebendige Weiber, die meine Mutter in Quedlinburg unterhält? Wie leid du mir tust! Als ich den Fuchs da erlegte, dachte ich gleich an dich. Ich schenke ihn dir! In euerm Grab ist es kalt und zugig. Der Pelz wird dir gute Dienste leisten.“
„Eure Geschenke könnt Ihr behalten. Ich habe alles, was ich brauche!“
Endlich gelang es ihr, an ihm vorbei zu kommen. Der alte Daleminzier saß auf seiner Kutscherbank und wartete auf den Befehl zum Aufbruch. Der Pater blickte besorgt zum Himmel. Er hatte nicht gewagt, das Gespräch der Mutter seines Zöglings mit dem Bruder des Königs zu unterbrechen, sagte aber jetzt vorwurfsvoll: |37| „Nehmt nun Abschied, ich bitte Euch, und haltet uns nicht mehr länger auf. Wir müssen fahren, wenn wir heute noch unter ein Dach kommen wollen.“
Petrissa umarmte ihren Sohn unter Tränen, stammelte letzte Ratschläge für die lange Reise und lief dann, das Gewand mit beiden Händen raffend, neben dem Wagen her, der über den Burghof zum Tor rumpelte. Hier wartete ein kleiner Trupp älterer Gefolgsleute des verstorbenen Burgherrn, der sich als berittene Wache dem Fuhrwerk anschloss.
Der Burghof leerte sich. Die Jagdgesellschaft verschwand im Gefolgschaftsquartier. Petrissa kehrte durch die Pforte, durch die sie gekommen war, ins Herrenhaus zurück. Sie durchschritt, den Kopf gesenkt, noch immer vom Abschiedsschmerz gebeugt, einen Gang, an dessen Ende die Treppe zum oberen Stockwerk hinaufführte.
Da schnellte von der Seite, aus einer Nische, ein Arm heraus und versperrte den Weg wie eine Schranke.
Sie erschrak, sah zwei Köpfe und schrie auf.
Der tote Fuchs schnappte nach ihr, und der junge Kerl mit den strahlenden blauen Augen lachte laut auf, als sie erschrocken zurückfuhr.
„Herr Heinrich! Was tut Ihr? Lasst mich vorbei!“
„Entweder küsst du ihn oder mich! Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Wen von uns beiden ziehst du vor?“
Petrissa schob eine Strähne ihres schwarzen Haars, die infolge der heftigen Bewegung über die Stirn gefallen war, unter die Haube. Zorn und Empörung trieben die Röte in ihre Wangen.
„Gebt den Weg frei!“
„Zuerst entscheide dich.“
„Ihr seid toll! Nehmt dieses gräuliche Vieh weg! Warum treibt Ihr mit mir solche Possen?“
„Weil ich von dir geküsst werden will.“
„Ihr habt kein Recht, mich zu demütigen und zu verfolgen.“
„Ich liebe dich.“
„Ich liebe Euch nicht!“
„Meinen Bruder Odda hast du doch auch nicht zurückgewiesen.“
„Das ist lange her und geht Euch nichts an.“
„Sei vernünftig. Ich will dir nur Gutes erweisen.“
„Dann lasst mich durch, Eure Mutter erwartet mich.“
|38| „Soll sie warten. Ist es nicht eine Wohltat, die dir geschehen wird, wenn du nach dem hässlichen Odda den schönen Heinrich umarmen darfst?“
„Wie könnt Ihr so über ihn reden! Wenn er das wüsste!“
„Dann wüsste er etwas, das er nicht erst von mir erfahren muss. Meine Mutter hat es ihm oft gesagt. Und du – gestehe: Wärst du auf deinen langen Beinen nicht über Stock und Stein geflohen, wäre Odda auf seinen kurzen hinter dir her gewesen – nur als ein geiler Bock und nicht als Sohn König Heinrichs?“
„König Otto, der damals so alt wie Ihr war, hat mich niemals erschreckt, verfolgt und belästigt!“
„Wie denn das? Bist du nicht als Gefangene zu uns gekommen? Aus der Burg der Heveller verschleppt, der Brandenburg? Ist das ohne Schrecken, Verfolgung und Belästigung vor sich gegangen?“
„Er selbst war immer freundlich und höflich zu mir.“
„Aber du musstest ihm zu Willen sein. Als Lustdirne, ohne Ehevertrag. Obwohl dein Vater ein Fürst war. So freundlich und höflich war er zu dir.“
„Ich beklage mich nicht! Und nun lasst mich gehen!“
„Und dein Sohn ist ein Bastard, ohne Rechte. Man lässt ihn, wie üblich in solchen Fällen, im Kloster verschwinden. Und dich hat man unter die Stiftsdamen gesteckt. Dort darfst du den Rest deines Lebens damit verbringen, zu beten, zu singen und Altardecken zu besticken.“
„So ist es nun einmal Gottes Wille!“, rief Petrissa, der plötzlich Tränen aus den Augen stürzten. „Und nun höre ich Euch nicht länger zu. Ich schreie, damit
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