Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig
doch nicht“, sagte der Herzog, „dass Gebhard, mein Neffe, beim Sturm auf Belecke dabei war. Und dass er auf den verrückten Einfall kam, als Erster die Sturmleiter zu ersteigen und sich, oben angekommen, zusammenhauen zu lassen. Ich habe geweint, als ich das erfuhr – wie ein Hund habe ich geheult! Und was noch mehr schmerzte, kam danach: meine Verwandten sahen in mir den Schuldigen, weil mir sein Vater Udo, mein Vetter, den Jungen anvertraut hatte. Ich war in ihren Augen schuldig – und gleich waren sie bereit, die Seite zu wechseln. Sagt selbst: Wie sollte ich ohne die Leute von Udo und Kurzbold noch ein schlagkräftiges Frankenheer zusammenbringen? Dann die Sache mit diesem sächsischen Grafen Dedi … ein Irrtum der Burgbesatzung. Nun zog sich auch der alte Wichmann zurück. Das hätte ja nicht geschehen können, wäre ich selbst in der Burg gewesen. Zwei Tage vorher war ich |156| noch dort. Da aber hörte ich, dass Otto nicht nach Bayern gezogen, sondern umgekehrt war. Ich glaubte natürlich, dass er zuerst seinen Bruder befreien wollte. In Laer hätte ich mich nicht lange halten können. Also schnappte ich mir meinen Gefangenen und brachte ihn hierher, in diese Wildnis. Immerhin … der ist mir geblieben, und das gibt mir Hoffnung!“, schloss Herzog Eberhard mit einem Seufzer.
Einen Augenblick lang schwiegen sie.
Dann fragte der Erzbischof: „Wo habt Ihr ihn denn untergebracht? Dort im Turm?“
„Unter dem Dach. Er sträubte sich mit Händen und Füßen, wir mussten ihn wieder zusammenschnüren. Auch knebeln, weil er mich beschimpfte, der kleine Saukerl, diese giftige Kröte.“
„Ist er noch immer gefesselt und geknebelt?“
„Nein. Inzwischen hat er sich beruhigt. Und er ist mir da oben sicher. Vollkommen sicher!“
„Ihr werdet ihn unverzüglich freilassen.“
„Wie? Was?“
„Ich sagte: freilassen“, wiederholte der Erzbischof. „Ihr werdet Herrn Heinrich, den Bruder unseres Königs Otto, noch heute freilassen.“
„Ich verstehe nicht. Ihr wisst, dass ich immer für einen Scherz zu haben bin …“
„Ich scherze nicht.“
„Aber …“
„Noch heute werde ich nach Fritzlar zurückkehren, die zehn, zwölf Meilen werden zu schaffen sein. Dabei wird mich Herr Heinrich begleiten. Ich hoffe, dass ich ihn dann mit Gottes Hilfe in ein paar Tagen mit seinem königlichen Bruder vereinen kann.“
Herzog Eberhard benötigte ein paar tiefe Atemzüge, um sich von seiner Bestürzung zu erholen. Doch plötzlich richtete er sich auf und zog den Gürtel straff.
„Deshalb also seid ihr gekommen! Habt auch Ihr die Seite gewechselt? Seid Ihr plötzlich wieder ein Mann des Königs? Seid Ihr sein Abgesandter?“
„Das nicht, ich komme in eigener Sache und …“
„Meinetwegen. Eines lasst Euch sagen, ehrwürdiger Vater: Der junge Mann ist mein Gefangener und Ihr habt keine Befugnis, das zu ändern. Er bleibt in Gewahrsam, man wird ihn nicht finden. Es |157| gibt ja noch mehr versteckte Burgen wie diese. Er ist mein Faustpfand und ich gebe es erst heraus, wenn alle meine Forderungen erfüllt sind.“
„Ihr wollt in Eurer Lage noch Forderungen stellen?“
„Warum nicht? Gut, es ist uns nicht alles gelungen, was wir vorhatten. Bei der Wahl meines wichtigsten Verbündeten hatte ich wohl auch einen Fehlgriff getan. Wie konnte ich Thankmar, diesem Großtuer, diesem Schwätzer vertrauen! Aber mein Schaden ist gering, und meinen Vorteil werde ich wahren. Ich bin Herzog der Franken – und was in Magdeburg geschah, wird sich nie wiederholen!“
Erzbischof Friedrich lächelte dünn und spielte mit dem goldenen Kreuz, das an einer Kette auf seiner Brust hing.
„Hört mir zu“, sagte er in sanftem Ton. „Das Recht mag ja auf Eurer Seite sein, Herzog, doch warum versucht Ihr, es mit den falschen Mitteln durchzusetzen? Die neuerlichen Überfälle auf sächsische Burgen … das Rauben und Brandschatzen … den Prinzen als Geisel zu nehmen und gefesselt, wie einen entlaufenen Knecht, von einer Burg zur anderen zu schleppen … das sind doch Rückfälle in die Zeiten unserer barbarischen Vorfahren. Und sind sie eines Mannes in so hoher Stellung wie der Eurigen würdig? Es wäre auch hoffnungslos, ganz hoffnungslos. Der König ist wieder erstarkt, man würde Euch aufbringen, wohin Ihr auch mit Euerm Gefangenen flüchten solltet. Seht, wir kennen uns schon eine gute Weile, Ihr habt Euch mir anvertraut und ich habe Euch mit stiller Anteilnahme unterstützt. Denn meine tiefe Überzeugung sagt mir, dass
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