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Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig

Titel: Abgründe der Macht - Roman über einen Sachsenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und bewegte den Kopf hin und her, bemüht, die Erinnerung abzuschütteln. Er schwieg eine Weile, doch dann auf einmal machte er eine Bewegung, als wollte er einen lästigen Gedanken von sich weisen und sagte mit erhobener Stimme:
    „Aber das war nicht der Grund! Nein, nein! Nicht deshalb … nicht deshalb ist alles so gekommen! Das wäre niedrig, das wäre schändlich! Er war mein Bruder, der Sohn meines Vaters, und wäre er am Leben geblieben, so wäre ihm nichts geschehen … nichts! Eine strenge Ermahnung, eine milde Strafe, nicht mehr … Ich wäre |151| schon mit ihm fertig geworden. Hatte ja auch bereits erwogen, wie ich ihn besser abfinden könnte. Wollte ihm eine Grafschaft geben … nicht Merseburg, nicht an der Grenze, wo er Schaden anrichten konnte … irgendwo anders. Doch ich war unentschlossen, habe mir zu viel Zeit gelassen. Hab ihm ja nie viel zugetraut … hielt ihn für einen lästigen Nörgler … rechnete nicht damit, dass er die Tatkraft aufbringen … sich empören würde. Es überraschte mich, traf mich schwer. Wie konnte er meine Lage so ausnutzen! Was sollte ich tun … in meiner Bedrängnis? Ich dachte: Gott wird es richten, sein Wille geschehe. In seiner Not unterwirft sich der Mensch, auch der König, dem höchsten Richter. So überließ ich es seinem Willen, ernannte dafür nur einen Vollstrecker. Maincias Tat – das war ein Gottesurteil. Es konnte so oder anders ausgehen. Tammo hätte Maincia töten, die Belagerung abwehren können. Vielleicht wäre dann ich statt seiner gefallen. Entschieden wurde da oben, im Himmel! Es war ein Gottesurteil. Ich sorgte nur dafür, dass es stattfand.
Er
entschied, wie es ausging!
Er
wollte mir Ruhe verschaffen! Wie oft haben übergangene Söhne keine Ruhe gegeben. Ein Toter gibt Ruhe …“
    Otto wandte die Augen zum Himmel und seufzte bei diesem Gedanken. Mehrmals atmete er tief ein und spannte die Brust, so als habe er gerade eine gewaltige Last von sich geworfen. Müdigkeit überkam ihn. Erschrocken sah Gunzelin, wie der König, nur einen Schritt vom Abgrund entfernt, auf dem Felsen hinsank. Er eilte hinzu, aber Otto gab ihm mit einem Wink zu verstehen, er könne ganz ruhig sein. Auch er selbst war jetzt ruhig und mit fast heiterem Blick suchte er unten im Tal das Boot. Er sah es nicht gleich, denn es glitt unter Bäumen entlang. Als er es endlich entdeckte, war es nur noch ein dunkles Pünktchen auf der im Sonnenlicht glitzernden Oberfläche des Flusses.
     
    Noch am selben Tag – es war der 28. Juli des Jahres 938 – wurde Thankmar, der älteste Sohn König Heinrichs und einer Frau namens Hatheburg, nach seinem gewaltsamen Ende auf der Eresburg begraben.
    Vor einem auserwählten Kreis seiner Getreuen hielt der König dem Bruder auf dem kleinen Gottesacker hinter der Kirche eine Grabrede. Er pries Thankmar als einen Helden, der unzählige Male tapfer gegen Feinde des Reiches gestritten habe. Er lobte seine |152| nimmermüde Bereitschaft, gegen die Machenschaften des Bösen und für die christliche Botschaft zu Felde zu ziehen. Er vergaß nicht, den Sohn eines Königs, den würdigen Nachfahr zweier bedeutender sächsischer Geschlechter, seiner vornehmen Erscheinung und seiner mitreißenden Beredsamkeit, besonders aber seiner wahrhaft edlen Gesinnung wegen zu rühmen. Er beklagte das Schicksal, das seinen teuren Bruder zuletzt auf einen Irrweg geführt hatte, an dessen Ende ihn dieser grausige Tod ereilte. Einer Stütze beraubt, bedauerte er sich schließlich selbst und gelobte, das Andenken des Toten in hohen Ehren zu halten und – mit Ausnahme einiger Verbrecher – seine Gefolgschaft, die treu zu ihm gehalten hatte, nicht zu bestrafen, sondern zur Bewährung in seine eigene Gefolgschaft aufzunehmen.
    Anschließend saß er zu Gericht über die Empörer. Auf der Bank unter der Eiche, wo sie am Abend zuvor noch mit ihrem Gefolgsherrn,
„König“
Thankmar, gezecht hatten, nahm er Platz und ließ sich Thiadrich und seine Vettern, die Brüder Iglolf, Heriger und Roudhart, vorführen. Ohne sie anzuhören, verurteilte er sie als Verderber und Verführer seines Bruders, als teuflische Verschwörer gegen ihren gesalbten, vom Himmel eingesetzten Herrscher zum Tode. Während er noch das Urteil sprach, schlugen Knechte bereits von dem starken untersten Ast der Eiche die Zweige ab und knüpften die Stricke mit den Schlingen daran. Otto wandte gegen die vier Franken das fränkische Gesetz an, das die Hinrichtung durch

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