Abgründe (German Edition)
auf spontanen Besuch und um ehrlich zu sein hatte er auch nicht sehr oft welchen. Der spärliche Rest seiner Familie war sein Vater, der in einem Altersheim in Richmond seinen Lebensabend genoss .
»Ich mach auf!«, rief Haley und lief los.
Bevor Ethan ihn davon abhalten konnte, riss er auch schon die Eingangstür auf und drehte sich verdutzt zu seinem Vater um, der gerade aus dem Wohnzimmer kam.
Vor der Tür stand Evangeline Stark, die Köchin aus dem South Easy. Sie hatte dezentes Make-up aufgelegt und die Schürze gegen helle Jeans und eine Bluse getauscht. Wie bei ihrer letzten Begegnung traf Ethan ihr Anblick wie ein Schlag. Er war irritiert darüber, dass sich sein Herzschlag beschleunigte.
»Mir ist noch etwas eingefallen, Detective Hayes, aber wenn ich ungelegen komme…« Sie wandte sich ab, um zu gehen.
Endlich bemerkte Ethan sein unmögliches Verhalten. Sie hatte ihn zum zweiten Mal total schachmatt gesetzt. »Nein, nein!« Er griff an seinem Sohn vorbei nach ihrem Arm und hielt sie fest.
Evangeline drehte sich zu Ethan um und sah ihn befremdet an. Jetzt gab sie ihm das Gefühl, ihren Stolz verletzt zu haben. Er sehnte sich nach einer dieser braungebrannten, dauerkichernden Mädchen, die Küstenstädte wie Virginia Beach immer zu Tausenden bevölkerten und eigentlich genau seine Kragenweite waren. Gott, warum gefiel ihm diese Frau bloß?
Haley brachte ihn durch ein wissendes Lachen noch mehr in Verlegenheit und gab die Tür frei. »Ich bin oben!« Grinsend eilte er die Stufen zu seinem Zimmer hinauf.
»Was?«, fragte Evangeline mit einem belustigten Blick auf ihren Arm. »Bin ich verhaftet?«
»Natürlich kommen Sie nicht ungelegen…«, murmelte Ethan und ließ Evangeline los. »Wollen Sie nicht reinkommen, damit wir uns drinnen unterhalten können?« Er trat zur Seite und Evangeline kam ins Haus.
»Ich störe Sie und Ihre Familie doch nicht beim Abendessen?«
Ethan schloss die Tür hinter ihr und zog unauffällig sein Hemd glatt. »Nein nein, ich bin unverheiratet.«
Sie warf ihm einen Blick zu, als bestätige dieser Satz genau ihre Meinung über ihn. Dabei hatte er noch nicht einmal 'Single' gesagt. Dann ging sie wie selbstverständlich ein paar Schritte vor. Ethan verfluchte sich selbst für den Basketballkorb, der an der Wand neben der Treppe hing und die gerahmten Bilder von Sportwagen auf dem Weg nach oben. In diesem Moment wünschte er sich, er hätte etwas mehr Klasse.
Sie blieb zwischen Wohnzimmer und Küche stehen und sah Ethan fragend an.
»Die Küche ist rechts und-«
»Ja, das sehe ich, Detective.« Jetzt lag wieder dieser belustigte Ausdruck auf ihren Zügen.
»Wir setzen uns am besten ins Wohnzimmer.« Ethan versuchte, seine Nervosität zu verdrängen, gab sich einen Ruck und ging vor in den größten Raum des Hauses. Das Wohnzimmer wurde zur Rechten begrenzt von einer Glastür, die in den Garten führte und zur Linken eingenommen von einer mit dunkelblauem Leder bezogenen Sitzgruppe. Dem größeren Sofa gegenüber befand sich ein Kamin, der nie benutzt wurde und in der Zimmerecke daneben stand ein schreiend hässlicher Sessel, dessen Polster mit geblümtem Stoff bezogen waren. Ein Erbstück von Ethans Großvater. Der Eichendielenboden ließ den Raum trotz der großen Fenster dunkel wirken und es war Ethan seit seinem Einzug vor neun Jahren einfach nicht gelungen, etwas Gemütlichkeit zu schaffen.
»Bitte«, bot er Evangeline Stark an. »Setzen Sie sich.«
»Einen tollen Sessel haben Sie da«, bemerkte sie ohne jede Spur von Ironie und ließ sich auf dem Sofa nieder.
Ethan nahm auf dem kleineren Sofa Platz. Der Tisch war bedeckt von Automagazinen und unter dem Sofa, auf dem sie saß, lag eine zerknüllte Bierdose. Er kam sich vor wie ein Collegejunge bei einem Termin mit seiner heißen Lehrerin. Das war so ziemlich die letzte Position, in der er bei einem beruflichen Gespräch sein wollte.
»Also, Misses Stark, was kann ich für Sie tun?«
»Nennen Sie mich Evangeline. Misses Stark klingt immer so autoritär.«
Ja, da hatte sie verdammt Recht. »Gut, Evangeline.« Ethan fand sie entwaffnend.
»Wie Sie sich denken können, geht es um Ava. Ich kann gar nicht glauben, dass ihr das passiert ist.«
»Es ist ihr nicht passiert, Evangeline. Es wurde ihr angetan . Wenn Sie also irgend etwas wissen, das uns hilft, ihren Mörder zu finden…«
»Ich weiß nicht, ob es Ihnen hilft. Wahrscheinlich eher nicht.« Sie betrachtete für einen Moment das Chaos auf Ethans
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