Abgründig (German Edition)
taumeln.
»Ich werde nicht schlafen, wenn wir nicht vor ihm sicher sind!«, wiederholte Julia wie ein trotziges Kind. »Gefesselte Hände bringen da gar nichts.«
Fabian richtete sich ein wenig auf. Er stützte sich auf den Handflächen ab und sah mit glasigem Blick stumm in die Runde. Seine kurzen Haare klebten schweißnass am Kopf, das feuchte Gesicht war gerötet. Er sah furchtbar aus.
Nachdem er seine Umgebung eine Weile betrachtet hatte, legte er sich ebenso wortlos wieder hin. Offenbar hatte er so hohes Fieber, dass er gar nicht mitbekam, worüber gerade diskutiert wurde.
Sebastian musterte Fabian nachdenklich und sagte dabei wie zu sich selbst: »Warum sperren wir ihn nicht einfach in die Kammer nebenan?«
Einsperren? In dieses stinkende, verdreckte und von Ratten und Mäusen vollgeschissene Loch? Tim wollte aufbrausen, Sebastian anschreien, sich auf ihn stürzen … Und konnte doch nichts anderes tun, als ihn fassungslos anzustarren. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr.
»Das ist nicht dein Ernst«, mischte sich Lena zum ersten Mal in das Gespräch ein, und trotz allem Entsetzen und aller Wut fiel Tim auf, wie müde ihre Stimme klang.
»Ihr könnt Tim doch nicht in diesen schmutzigen Raum sperren wollen, das kann ich nicht glauben.«
»Wir?«, stutzte Denis. »Wohl kaum. Du hast doch gehört, dass das die Idee unseres Möchtegernbullen ist.«
»Halt dein dämliches Maul, du Loser!«, giftete Sebastian ihn an. »Wenn du mich noch ein bisschen reizt …«
Denis’ Miene blieb ausdruckslos. »Verhaftest du mich dann? Hast du einen Kinder-Polizeiausweis?«
»Also ich finde die Idee gut«, meldete Julia sich wieder zu Wort und lenkte Sebastians Aufmerksamkeit von Denis ab. Tim sah sie nicht an. Was hätte er von ihr auch anderes erwarten sollen?
»Ihr spinnt doch! Man kann auch übertreiben«, warf Jenny in die Runde, wofür Tim ihr ein dankbares Lächeln schenkte. »Außerdem kann man die Tür doch gar nicht schließen. Was soll das also bringen?«
»Zumindest wäre er nicht mitten unter uns«, beharrte Sebastian auf seiner Idee. »Außerdem können wir ja etwas vor den Eingang stellen.« Er deutete zur Seite. »Den Schrank da zum Beispiel.«
»Auf keinen Fall werde ich in dieses Dreckloch kriechen!«, fand Tim endlich seine Sprache wieder. Er war so aufgewühlt wie nie zuvor in seinem Leben. »Ihr seid doch vollkommen verrückt geworden!«
Sebastian verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Dich fragt keiner, Timmi. Du bist ein Psycho, und wir sorgen dafür, dass du heute Nacht nicht noch jemanden im Schlaf abstichst.«
Tim hatte das Gefühl, als würde sich eine Hand um seine Kehle legen und unbarmherzig zudrücken. Er konnte es förmlich spüren. Die Wut, die er gerade noch empfunden hatte, wich der Erkenntnis, dass er tatsächlich nichts ausrichten konnte. Wenn sie ihn zu dritt gewaltsam in den Nebenraum schleppten und dort irgendwo festbanden, würde er sich nicht wehren können.
Außerdem … ja, außerdem konnte es sein, dass Sebastian recht hatte. Vielleicht musste man ihn ja wirklich einsperren wie ein unberechenbares Tier, damit er niemanden verletzte. Oder sogar tötete.
Es war, als hätte sich vor Tim plötzlich ein tiefes schwarzes Loch aufgetan, in das er unweigerlich hineingezogen wurde. Ohne sein Zutun hatte er einen Schritt zu viel gemacht und war in den Abgrund gestürzt. Nun trudelte er unabwendbar in die Tiefe, und wann immer er die Hand ausstreckte, um sich irgendwo festzuhalten, rutschte er ab und fiel noch schneller.
»Ich … Okay, bindet mir die Hände zusammen, ich habe nichts dagegen. Von mir aus bindet mich auch irgendwo fest. Aber ich gehe nicht in dieses stinkende Kabuff! Auf keinen Fall.«
»Du scheinst das nicht verstanden zu haben, du wirst nicht gefragt.« Sebastians Stimme war schärfer geworden.
»Und du scheinst nicht verstanden zu haben, dass du nicht über mich bestimmst!«, entgegnete Tim.
Sebastian kam näher und baute sich vor Tim auf. »Ach nein?«
Noch ehe Tim reagieren konnte, tauchte Janik neben Sebastian auf. »Ich denke, es ist besser, wenn du das jetzt einfach mitmachst.«
Der Ton, in dem er es sagte, klang lange nicht so aggressiv wie bei Sebastian, ließ aber keinen Zweifel daran aufkommen, dass auch Janik ihn notfalls mit Gewalt in den Nebenraum schleppen würde.
Etwas in Tim zerbrach, und es fühlte sich tatsächlich so an, als ginge etwas in seinem Inneren zu Bruch. Sein Blick wanderte hastig zwischen Sebastian und Janik hin
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