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Abgründig (German Edition)

Abgründig (German Edition)

Titel: Abgründig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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wären.
    Besonders für ihn.

28
    Die Stimmung war sehr gedrückt. Alle versuchten, Gespräche um Ralfs Verschwinden zu vermeiden. Sogar Sebastian hielt sich zurück. Sie flüchteten sich in Belanglosigkeiten, erzählten unwichtige Einzelheiten aus ihrem Leben und umschifften dabei – vielleicht sogar unbeabsichtigt – sämtliche Themen, die auf irgendeine Art lustig hätten sein können. Es ging um Schule und blöde Lehrer, um übertrieben strenge Eltern und Fernsehsendungen. Mit Tim unterhielt sich niemand außer Lena, die jedoch sehr müde wirkte und meist nur recht einsilbige Antworten gab.
    Fabians Fieber war offenbar weiter gestiegen. Immer wieder beutelte Schüttelfrost den schmächtigen Körper und trieb gleichzeitig einen alles bedeckenden Schweißfilm aus allen Poren. Denis hatte Regenwasser in einem der roten Plastikbehälter gesammelt, in dem zuvor eine der Friedhofskerzen gesteckt hatte. Immer wieder tauchte er das Stoffstück hinein, tupfte Fabians Gesicht damit ab oder legte es ihm als Umschlag auf die Stirn.
    Obwohl Tim tagsüber viel geschlafen hatte, fühlte er sich ausgelaugt und unendlich müde. Als Lena sich neben ihm auf dem Boden zusammenrollte, legte er die Decke über sie und schlug sie an den Seiten ein, damit sie nicht fror. Er streichelte ihr noch einmal über die Wange und stand auf.
    Alle Augen richteten sich auf ihn.
    »Ich gehe nur noch mal raus, bevor ich mich hinlege«, sagte er und lief zur Tür. Als Sebastian sich ebenfalls erhob, blieb Tim neben ihm stehen. »Willst du mir etwa beim Pinkeln zusehen?«
    »Ich werde dich jedenfalls nicht aus den Augen lassen.«
    Tim sah ein, dass eine Diskussion keinen Erfolg haben würde und dachte, dass es ihm egal sein konnte, ob Sebastian dabeistand und seinen Rücken betrachtete.
    Wie sich herausstellte, war es ihm nicht egal. Tim konnte sich an kaum einen Moment seines Lebens erinnern, in dem er sich so gedemütigt gefühlt hatte wie in dieser kurzen Zeitspanne. Er stand etwas abseits der Hütte und glaubte zu spüren, wie Sebastians Blicke ihm im Rücken brannten. Das Gefühl war so übermächtig, dass einfach nicht funktionieren wollte, wofür er eigentlich ins Freie gekommen war.
    Nach einer Weile gab er es auf und ging zurück. Als er neben Sebastian angekommen war, sagte er: »So funktioniert das nicht.«
    »Interessiert mich nicht«, antwortete Sebastian und wartete, bis Tim an ihm vorbei war, um ihm dann zu folgen.
    Als Tim die Hütte wieder betrat, verebbte die Diskussion, die offenbar im Gang gewesen war. Tim hatte noch einige hitzige Wortfetzen mitbekommen, ohne jedoch ihren Sinn zu verstehen. Er schaute fragend in die Runde. »Was ist los? Traut ihr euch jetzt schon nicht mehr zu reden, wenn ich da bin?«
    »Sie wollen dich fesseln«, erklärte Denis mit dem ihm eigenen Unterton und stieß einen Lacher aus. »Aber die Freaks wissen nicht, womit.«
    »Was wollt ihr?« Tim hatte das Gefühl, seine Beine würden jeden Augenblick nachgeben. Unsicher machte er ein paar Schritte, lehnte sich gegen die Tischkante und starrte in die Runde. Manche der Gesichter wandten sich ab. Lena hatte ihren Versuch, einzuschlafen, offenbar fürs Erste aufgegeben, denn sie saß mit der Decke über den Schultern da und sah ihn traurig an.
    »Ihr … wollt mich fesseln wie einen Verbrecher?«
    »Du hast es doch selbst gesagt.« Janiks Stimme klang sachlich. »Du weißt nicht, was du nachts im Schlaf treibst. Da ist es ja wohl logisch, dass man sich seine Gedanken macht, wenn man mit dir im gleichen Raum schlafen soll.«
    Wenn man mit dir im gleichen Raum schlafen soll … Er war ein Ungeheuer, das man nachts festbinden musste. Tim dachte an die Geschichte von Dr.   Jekyll und Mr   Hyde. Verwandelte auch er sich nachts in ein gewalttätiges Monster?
    »Und jetzt wollen sie dich fesseln und wissen nicht, womit«, stellte Denis erneut fest.
    »Irgendwas müssen wir jedenfalls finden.« Trotzig verschränkte Julia die Arme vor der Brust. »Solange der hier nachts rumlaufen kann, mache ich kein Auge zu.«
    Wenn der hier nachts rumlaufen kann  … Sie sprach über Tim, als wäre er nicht im Raum. Als wäre er ein Tier.
    »Ist doch ganz einfach: Wir benutzen einen Schnürsenkel.« Sebastian schob sich an Tim vorbei, blieb vor Janik stehen und deutete auf seine halbhohen festen Schuhe. »Die sind lang genug, um die Hände damit zu fesseln.«
    »Ihr seid total verrückt.« Nicht zum ersten Mal hatte Tim das Gefühl, durch einen irren Albtraum zu

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