Abgründig (German Edition)
dafür nutzen können, aber ihnen fehlte ein tauglicher Rahmen, um etwas zu improvisieren. Janik machte den Vorschlag, Fabian in eine der Decken hineinzulegen und diese dann zu zweit oder sogar zu viert an den Enden zu greifen. Sie versuchten es sogar, kamen aber keine fünf Meter weit, ohne zu stolpern.
Als sie sich verzweifelt die Köpfe zerbrachen, sagte ausgerechnet Sebastian: »Dann tragen wir ihn eben abwechselnd auf dem Rücken. Ich fange freiwillig an.«
Tim musterte ihn überrascht, was Sebastian bemerkte. »Was ist, Psycho?«
»Nichts, ich wundere mich nur. Irgendwo scheinst du tatsächlich einen guten Kern zu haben.«
Sebastian war dagegen. »Du siehst das falsch, Timmi. Mir geht es nur darum, möglichst schnell von diesem beschissenen Berg runterzukommen, damit wir dich bei den Bullen abliefern können.«
Er wandte sich an Janik. »Ich schlage vor, du und Lucas bleibt bei ihm und passt auf, dass er auf dem Rückweg nicht auf dumme Ideen kommt.«
»Du guckst zu viele beschissene Krimis im Fernsehen«, kommentierte Denis diesen Vorschlag, worauf allerdings niemand reagierte.
31
Sie einigten sich darauf, sich schräg abwärts zu halten. An die Richtung, aus der sie gekommen waren, konnten sie sich sogar noch erinnern.
Sebastian trug Fabian auf dem Rücken, was ihm trotz der Anstrengungen der vergangenen zwei Tage recht leicht zu fallen schien. Julia lief neben ihm und fragte alle zwei Minuten, ob es noch ginge oder ob sie eine Pause machen sollten.
Lucas und Janik eskortierten Tim, der stumm zwischen ihnen hertrabte. Direkt hinter ihnen marschierten Denis und Lena, während Jenny ein paar Meter abseits trottete, ganz allein.
Tim bemerkte die nachdenklichen Blicke, mit denen Janik und besonders Lucas ihn von der Seite musterten. Er versuchte, sie zu ignorieren. Seine Gedanken drifteten immer wieder ab in die Vergangenheit, zu dem, was er getan hatte. Und mit jedem Meter, den sie weiter abwärtskamen, wuchs seine Angst davor, zu erfahren, was mit Ralf geschehen war. Dass er etwas damit zu tun hatte.
»Du bist echt abgefahren«, sagte Denis unvermittelt, nachdem sie minutenlang schweigend marschiert waren.
Tim wandte sich im Gehen überrascht zu ihm um. »Wie meinst du das?«
Denis ließ sich mit der Antwort Zeit.
»Du hast da diesen Schlafwandelquatsch an der Backe. Das mit deiner Mutter. Ist ’ne echte Hausnummer. Aber jeder hat irgendwie sein Ding zu stemmen.«
Tim nickte, sah wieder nach vorn und versuchte zu verstehen, was Denis ihm sagen wollte, schaffte es aber nicht. Wieder dauerte es eine Weile, bis Denis weitersprach.
»Aber jetzt auch noch diese Sache mit Ralf, der getürmt ist … Das ist abgefahren.«
Tim wusste noch immer nicht, worauf Denis hinauswollte, und drehte sich erneut zu ihm um. Janik und Lucas sagten kein Wort. »Was meinst du?«
Denis beschleunigte seine Schritte und drängte sich zwischen Lucas und Tim. Lucas linste kurz und unsicher zu Janik, ließ ihn aber gewähren.
Denis sah verständnislos zu Tim hinüber. »Wie jetzt? Was ich meine? Dass du den Kram erzählt hast, meine ich. Obwohl du wusstest, was der Schwachmat da vorn daraus machen wird. Trotzdem hast du uns die ganze Wahrheit gesagt. Einfach, weil du Schiss hattest, noch mal jemandem wehzutun. Hey, das hat Größe, Alter.«
Tim wusste nicht, ob das etwas mit Größe zu tun hatte. Er wusste nur, es war die einzige Möglichkeit gewesen, nicht verrückt zu werden in der Ungewissheit, was er getan hatte oder noch tun würde.
Er sah zu Denis und stellte fest, dass dieser dürre, kalkweiße Kerl wohl derjenige unter ihnen war, in dem er sich am meisten getäuscht hatte.
Nach etwa einer halben Stunde erreichten sie das Wäldchen, durch das sie gekommen waren. Sebastian setzte Fabian ab, der sich selbstständig kaum auf den Beinen halten konnte, und trank lange von seiner Wasserflasche, die er wie alle in einem der vielen Rinnsale in der Nähe der Hütte gefüllt hatte.
Janik erklärte sich bereit, den Vierzehnjährigen zu übernehmen, und nach einer kurzen Pause ging es weiter. Sebastian hatte Janiks Platz an Tims Seite eingenommen, Julia stolperte mehr neben Sebastian her, als sie ging.
Nach einer Weile sah sie an Tim vorbei zu Sebastian hinüber. »Richtig unheimlich, neben so einem herzugehen, als wenn nichts wäre.«
Mit einem Ruck blieb Tim stehen. Sebastian reagierte schnell, stoppte ebenfalls abrupt, machte einen großen Schritt zurück und stellte sich dicht vor Tim. Ihre Gesichter waren nur
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