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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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Gabriel nahm sie nicht. Unbeholfen ließ Victoria ihre Hand sinken; die Seide zerknitterte zwischen ihren zur Faust geballten Fingern. »Meine … Die Frau, die mir die Tabletten gegeben hat, hat das nicht geschrieben.« Selbst wenn Dolly schreiben konnte – und das in einer so schwungvollen, männlichen Handschrift –, hätte sie nicht Shakespeare zitieren können.
    »Nein.«
    Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler . Victoria hatte Autor und Stück erkannt, aus dem das Zitat stammte. Er glaubte doch wohl nicht …?
    »Ich bin Gouvernante«, sagte sie abwehrend.
    »Ja.« Seine Antwort war nicht viel versprechend.
    »Mein Stellung erfordert gewisse Kenntnisse über Shakespeares Werk.«
    Schweigend schaute er zu, wie sie zappelte.
    »Ich …« Kenne den Mann nicht, der das geschrieben hat . Victoria leckte sich die Lippen. »Was bedeutet das: Du hast eine ›Bühne aufgebaut‹? Für wen haben Sie die Bühne aufgebaut?«
    »Für einen Mann, Mademoiselle.«
    »Der Mann, der diese Mitteilung geschrieben hat.«
    »Ja.«
    »Und Sie glauben, dass dieser Mann, dass – dass ich seinetwegen hier bin?«
    »Ja.«
    »Das ist absurd. Woher sollte er wissen …«
    Ihr Atem blieb ihr in der Kehle stecken. Vor sechs Monaten hatte der Mann ihrer Arbeitgeberin Victoria vorgeworfen, mit ihm zu flirten. Victoria hatte es nicht getan. Ihre Arbeitgeberin hatte von der Wahrheit nichts wissen wollen. Sie hatte Victoria ohne Zeugnis entlassen.
    Drei Monate später waren die ersten Briefe eingetroffen, mit der Morgenpost unter der Tür ihres gemieteten Zimmers durchgeschoben. Briefe, die behaupteten, jemand beobachte sie. Jemand warte auf sie.
    Briefe, die in allen Einzelheiten die Wonnen schilderten, die sie bald erleben würde. Durch die Lippen eines Mannes. Die Hände eines Mannes. Eines Mannes …
    »Es ist unmöglich«, sagte Victoria abrupt.
    Sie wusste, wer die Briefe schrieb: Sie kamen vom Ehemann ihrer früheren Arbeitgeberin. Seine Handschrift entsprach nicht der Schrift auf der Serviette.
    Im Gegensatz zu dem Mann, der auf die Seidenserviette geschrieben hatte, besuchte der Ehemann ihrer ehemaligen Arbeitgeberin keine Etablissements wie das Haus Gabriel. Falls doch, hätte er für eine Frau bezahlt, statt Victoria ihren guten Ruf und ihren Beruf zu nehmen. Nur um sich ihrer Jungfräulichkeit zu bemächtigen.
    »Ich will jetzt meine Tasche wieder haben, bitte.«
    »Gleich, Mademoiselle.« Zuerst wollte er die Briefe lesen, das wusste sie.
    »Ich versichere Ihnen, Sir, ich besitze keine Briefe von der Handschrift auf dieser Serviette.«
    »Dann haben Sie ja nichts zu befürchten.«
    Das elektrische Licht versengte ihre Haut.
    »Vor heute Abend habe ich nicht einmal von Ihrer Existenz gewusst«, argumentierte Victoria.
    »Das haben Sie schon gesagt.«
    »Ich habe nicht die Absicht, Sie zu verletzen.«
    »Ich Sie auch nicht.«
    »Welchen Zweck sollte dieser Mann damit verfolgen, mich zu Ihnen zu schicken?«, platzte Victoria heraus.
    Sie kannte weder den Mann, der sich Gabriel nannte, noch den Mann, der sie angeblich töten wollte. Es ergab keinen vernünftigen Sinn.
    Gabriel senkte die Lider und ließ die Briefe wieder in ihre Tasche fallen. Langsam schaute er auf. Der Ausdruck seiner silbernenAugen raubte ihr den Atem: Sie sah Angst. Wenn er Angst hatte …
    »Ich weiß es nicht, Mademoiselle.« Sofort war die Angst aus seinem Blick verschwunden. Er ließ ihre Tasche auf den Sessel fallen. »Ihr Tablett wird gleich kommen. Möchten Sie sich frisch machen?«
    Nein.
    »Ja, danke.«
    Vielleicht gab es im Bad ein Fenster, durch das sie fliehen könnte. Schweigend drehte er sich um. Victoria widerstand dem Drang, ihre Tasche an sich zu nehmen. Wenn sie sie aufheben sollte, würde er sie ihr abnehmen. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn er Gewalt anwenden sollte: Schreien. In Ohnmacht fallen. Sich wehren.
    Was Victoria für eine Schranktür aus Satinholz gehalten hatte, erwies sich als Tür. Eine Tür, die ins Stockfinstere führte.
    Victorias Herz pochte an ihren Rippen. Licht fiel auf den nackten Holzfußboden und glänzte von einem Messingbett. Der Geruch von Bienenwachs und sauberem Leinen hüllte sie ein. Die Seidenserviette in der Linken, ihren Umhang in der Rechten, folgte Victoria ihm in die duftende Dunkelheit. Seine Schritte waren leise, unaufdringlich, Victorias laut und aufdringlich.
    Im Schlafzimmer gab es keine Fenster.
    Das leise Klicken einer sich öffnenden Tür klang

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