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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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gefunden? Warum hatte er sie gefunden? Gabriel warf das Streichholz ins Feuer und stand auf. Ein Colt Derringer und ein Bowiemesser lagen in der obersten Schublade des Satinholznachttischs.
    Tödliche Waffen.
    Sie war ohne Waffen zu ihm gekommen; in seiner Suite würde sie keine Waffen finden. Der Tod sollte durch den zweiten Mann oder durch Gabriel kommen: nicht durch eine Frau.
    Er nahm den Derringer und das Messer und ging leise durch das Zimmer, das Victoria für die nächsten Tage, Wochen oder Monate als Schlafzimmer dienen würde. Der Duft frisch aufgebrühten Tees wehte durch die offene Schlafzimmertür. Gabriel hielt inne. Es war nicht Gaston, der in seinem Arbeitszimmer auf ihn wartete.

Kapitel 5
    Michael hockte mit gesenktem Kopf auf der Schreibtischkante. Blaue Glanzlichter schimmerten in seinem schwarzen Haar. Neben seiner Hüfte stand ein großes Silbertablett; aus einer silbernen Teekanne kräuselte grauer Dampf hervor. Er hielt eine kleine, braune Tonschale in einer Hand und ein kleines Sandwich ohne Kruste in der anderen.
    Beide Hände waren von roten Narben und Striemen entstellt. Finger. Handflächen. Handrücken.
    Unter Gabriels Augen tunkte Michael das Brot in die Tonschale. Es tauchte voller Schokolade wieder auf.
    Das Pochen in Gabriels Lenden griff auf seine linke Hand, dann auf seine Rechte über, die das Bowiemesser und den Colt Derringer umklammerten.
    Er war nicht bereit, sich Michael zu stellen. Nicht so lange er noch den Duft von Victorias Begierde in der Nase und die Stimme des zweiten Mannes im Ohr hatte. Es spielte keine Rolle.
    Gabriels Begierde; Victorias Begierde. Tod.
    Laissez le jeu commencer . Lasst das Spiel beginnen.
    Gabriel hatte die Bühne aufgebaut; jetzt musste er seine Rolle spielen. Schweigend schloss er die Schlafzimmertür hinter sich.
    Äußerlich schien Michael vollauf mit seinem Sandwich beschäftigt zu sein: Aber er war es nicht. Michael spürte Gabriels Anwesenheit. Ebenso wie er den zweiten Mann im Salon gespürt hatte.
    »Ich habe Gaston gesagt, er soll dich rauswerfen, Michael«, sagte Gabriel ausdruckslos.
    Langsam hob Michael den Kopf. Seine violettblauen Augen waren kühl berechnend. Die gleichen runzeligen Verbrennungen, die seine Hände entstellten, zeichneten auch seine rechte Wange und standen in krassem Gegensatz zur Vollkommenheit seiner Züge.
    »Glaubst du wirklich, ich würde gehen, ohne dich zu sehen, Gabriel?«, fragte er leise.
    Michaels Stimme hatte sich in den sechs Monaten nicht verändert, seit Gabriel sie zuletzt gehört hatte. Sie war leise, lasziv und verführerisch, die Stimme eines Mannes, der sein Vermögen durch Hurerei erworben hatte.
    Nein, Gabriel hatte nicht erwartet, dass Michael sich von ihm abwandte. Aber er hatte es gewünscht. Nach all den Jahren wollte er den dunkelhaarigen Engel mit den hungrigen violettblauen Augen immer noch beschützen.
    Gabriels Blick schweifte von Michael zu dem mit Schokolade überzogenen Brot. Ein Stich zog ihm die Brust zusammen. Vor siebenundzwanzig Jahren hatte Michaels Magen allein schon den Geruch von Schokolade nicht ertragen, von ihrem Geschmack ganz zu schweigen.
    »Seit wann magst du chocolat, mon frère ?«, fragte er.
    Gabriel wusste, dass seine Stimme den gleichen wissenden Tonfall besaß wie Michaels: Sie hatten beide gelernt, zu locken, zu verführen, zu befriedigen.
    Gabriels Lippen brannten bei der Erinnerung: Vor sechs Monaten hatte er Michaels narbige Wange geküsst. Dann hatte er den ersten Mann getötet.
    Wie leicht wäre es gewesen, den Abzug zu drücken und Michael zu töten. Vor sechs Monaten.
    Heute Nacht …
    »Wie geht es Anne?«, fragte Gabriel unvermittelt.
    Die Wärme, die in Michaels Augen trat, und das Strahlen, das sein Gesicht leuchten ließ, zwang Gabriel fast in die Knie. Einen atemberaubenden Augenblick lang erkannte er den Mann vor sich nicht wieder.
    Gabriel hatte Michael halb tot vor Hunger und Angst erlebt. Er hatte ihn halb verrückt vor Kummer und Leid erlebt. Noch nie zuvor hatte er Michael glücklich gesehen. Aber jetzt war er es.
    Michael hatte gefunden, was Gabriel nie finden würde: Liebe. Anerkennung. Frieden. All das bei einer Frau, die violettblaue Augen silbergrauen vorzog. Einen dunkelhaarigen Engel einem blonden Engel vorzog. Einen Mann, der das Leben achtete, einem Mann vorzog, der Leben genommen hatte.
    Das Leuchten in Michaels Gesicht verblasste auf der Stelle, die Augen wurden wieder kühl berechnend. »Wieso besuchst du uns nicht und siehst

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