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Abgrund der Lust

Abgrund der Lust

Titel: Abgrund der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Schone
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zu lassen«, rang Victoria sich ab.
    Das Licht, das seine Pupillen umrandete, leuchtete heller als der Kronleuchter über ihnen, ein greller, gefährlicher Kreis aus reinem Silber.
    »Ich habe Angst, dass es mir gefällt, mich von einem Mann berühren zu lassen«, fuhr sie entschlossen fort.
    Victorias Herz hämmerte in ihren Ohren, als sie die Wahrheit eingestand, die sie so lange zu verbergen gesucht hatte. Eine Wahrheit, die zu erkennen die Briefe sie gezwungen hatten.
    »Ich habe Angst, dass ich tatsächlich eine Hure bin.«

Kapitel 4
    Victorias Stimme hallte zwischen ihnen nach. Der Mann mit den silbergrauen Augen und dem silberblonden Haar schien gebannt von ihren Worten: Angst, mich berühren zu lassen … Angst, dass es mir gefällt, mich berühren zu lassen … Angst, dass ich tatsächlich eine Hure bin … Vielleicht war nur Victoria von der Tatsache gebannt, dass sie so etwas ausgesprochen hatte. Die Scham, die ihr Geständnis hätte wecken sollen, blieb aus.
    Victoria hob herausfordernd das Kinn: Er sollte es ja nicht wagen, sie zu verurteilen, er, der seinen Körper verkauft hatte. Wie sie ihren Körper verkauft hatte.
    »Die Briefe in meiner Tasche haben mir klar gemacht, was ich bin. Ich war tatsächlich nass vor Begierde. Weil ich wollte, dass Sie – ein Fremder – mich berühren.«
    Schmerz zerriss ihr die Brust. »Nicht dass man seinen Körper verkauft, macht einen zur Hure, nicht wahr?«, sagte sie leichthin; aber ihre Stimme war nicht leicht. »Es ist die Lust an der körperlichen Berührung. Ich wollte Ihre Berührung; deshalb bin ich eine Hure.
    Ich hätte nicht gedacht, dass diese Nacht mich so aufrühren würde.« Victoria zwinkerte plötzliche Tränen zurück. »Aber es ist so. Rechtfertigt das meinen Tod?«
    Sekunden streckten sich zur Ewigkeit. Nur Gabriels Augen waren lebendig. Silberne Leuchtfeuer, die vor Verlangen brannten.
    Zu berühren … sich berühren zu lassen. Zu umarmen … sich umarmen zu lassen.
    Ein Holzscheit sackte in sich zusammen, die Wirklichkeit war wieder da.
    Er wollte sie nicht berühren oder sich von ihr berühren lassen. Und vor allem wollte er sich nicht von ihr umarmen lassen.
    »Ich kann Sie nicht gehen lassen, Mademoiselle.«
    Bedauern lag in seiner Stimme, seinem Gesicht. Dann war es verschwunden. Sein Verlangen. Sein Bedauern. Die Sehnsucht nach Berührung. Umarmung.
    Wieder war der Mann, der vor ihr stand, eine lebende, atmende Statue, von Gefühlen unverschandelte Schönheit.
    »Gabriel war Gottes Bote«, sagte Victoria impulsiv.
    »Ja. Michael war sein Auserwählter«, erwiderte er. Seine silberne Iris fraß das Schwarz seiner Pupillen.
    Victoria wappnete sich. »Was werden Sie mit mir machen?«
    »Ich werde versuchen, Sie zu retten.«
    Aber sie könnte dennoch sterben.
    »Ich glaube kaum, dass die Frau, die mir die … die Verhütungstabletten gegeben hat, eine ernsthafte Bedrohung darstellt«, sagte Victoria nachdrücklich. »Sie wollte mich lediglich ausrauben. Jetzt werde ich nicht genug Geld verdienen, dass es für sie der Mühe wert wäre.«
    Sie würde auch nicht genug Geld verdienen, um zu entrinnen. Dem Mann, der die Briefe geschrieben hatte.
    »Nein, sie wird Sie nicht wieder behelligen«, stimmte er ruhig zu.
    Victoria seufzte erleichtert. »Da haben Sie es …«
    »Sie wird Sie nicht wieder behelligen, Mademoiselle, weil sie tot ist. Oder bald sein wird.«
    Dolly hatte versprochen, Victoria zum Haus Gabriel zu begleiten; Victoria hatte gewartet, bis Big Ben Viertel vor zwölf geschlagen hatte. Sie war nicht gekommen. Übelkeit schnürte Victoria die Kehle zu.
    »Woher wissen Sie das?«, brachte sie mühsam heraus.
    »Ich weiß es daher, Mademoiselle.«
    Instinktiv griff Victoria nach dem weißen Tuch, das er in ihre Hand fallen ließ. Verständnislos musterte sie den Stoff, eine Serviette vermutlich.
    »Drehen Sie sie um.«
    Auf der Rückseite der weißen Seidenserviette waren schwarze Tintenflecken. Allmählich nahmen die schwarzen Kleckse Gestalt an. Es waren Buchstaben. Eine schwungvolle, schwarze, männliche Schrift. Auf die Seide war eine Nachricht geschrieben. Victoria las die kurze Mitteilung. Ein Mal. Zwei Mal. Drei Mal. Jedes Mal stockte sie beim letzten Satz:
    Du hast eine wunderbare Bühne aufgebaut, mon ange, nun bringe ich dir eine Frau. Eine Hauptdarstellerin, wenn du so willst. Laissez le jeu commencer.
    Lasst das Spiel beginnen …
    Mit scheinbarer Ruhe faltete sie die Serviette sorgsam zusammen und reichte sie ihm.

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