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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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Schirm herumgefuchtelt, geflucht, was, das wisse er nicht mehr so
genau, sie habe aber sicher einen roten Kopf gehabt und über die
Schwarzenbach-Initiative gewettert, daran erinnere er sich genau, weil er die
ja auch miterlebt habe, seit damals habe sich ein Mückenfurz verändert, habe
Frau Köchli gerufen, in die verdutzten Gesichter hinein, und er, Herr Rampazzi,
habe bei sich gedacht, dass es für die Ausländer, also für uns, nichts bringe,
wenn eine wild gewordene Frau sich so aufführe, die ausserdem noch eine
Schwester habe, vor der man, rein vom Körper her, Angst haben müsse. Frau
Köchli und Frau Freuler, die dann ihre Sitzreihe zum Aufstehen nötigen, den
Saal verlassen und die Tür hinter sich nicht schliessen, so dass man noch ein
letztes Mal Frau Köchli rufen hört, wir gehören auch zu dieser verunglückten
Gemeinde!, die Schritte der Schwestern, die man in der plötzlich entstandenen
Stille des Gemeindesaals noch eine ganze Weile hört.
    Ich, die sich die beiden
Schwestern in Erinnerung ruft, sehne mich danach zu verschwinden, ein für
allemal.
    Es gibt Tage, die ziehen die
schlechten Gedanken an, ich, die vergisst, dass es noch andere gibt als den,
der unser Klo beschmutzt hat, ich will vergessen, dass es noch andere gibt,
weil ich einen eindeutigen Hass empfinden will gegen jemanden, der uns gestern
so unmissverständlich seinen Hass gezeigt hat, das war doch eine
Kriegserklärung, will ich sagen, am Sonntag, als wir im Mondial sitzen, im Herbst,
als wir darüber reden, dass wir eine spezielle Herbstkarte kreieren müssen,
Wildspezialitäten, Reh-, Hirschfleisch, Rotkraut, Spätzli, ich, die Mutter ins
Wort fallen will, die von den Zahlen spricht, die gar nicht so schlecht seien,
der Sommer sei zwar flau gewesen, aber das sei bei den Tanners nicht anders
gewesen, ich, die explodieren will, ich will gegen uns sein, gegen unseren
Fleiss, unser andauerndes Bemühen, noch besser zu werden, ich, die meinen
Lehrer nicht hören will, der sagt, dass er nichts gegen Ausländer habe, bei ihm
zähle einzig und allein die Leistung, ich will meinen Lehrer nicht hören, wenn
er die Stimme meiner Eltern hat, der Glaube, dass man mit der eigenen Leistung,
mit einer permanenten Leistungssteigerung alles erreichen, die Realität
wegschieben kann, die verschissene Unterhose, im Plastikkübel, im Abfalleimer,
und niemand muss sich fragen, was das war, was das wohl zu bedeuten hat; hört
mal zu, will ich sagen, können wir darüber reden, ob wir vielleicht eine
Anzeige erstatten, gegen unbekannt, wie formuliert man so eine Anzeige, darüber
sollten wir doch diskutieren, stattdessen: Wildschweinbraten, Birnen mit
Preiselbeeren, glasierte Kastanien; Mutter, die die Toilettentür aufgemacht
hat, mich gesehen hat, was ist das, hat sie gefragt, eine volle Unterhose,
habe ich geantwortet, was?, meine Mutter, käsebleich, mit fliehenden Augen, hat
wahrscheinlich zufällig jemand verloren, so ich, Mutter, die die
Gummihandschuhe vom Boden aufliest, sie sich überziehen will, ich, die es nicht
zulässt, das mache ich, hat es gesagt, das Fräulein, ich habe die Unterhose
mit Toilettenpapier umwickelt, hundertprozentige Baumwolle, habe ich gesagt,
wollte Mutter zum Lachen bringen, das bleibt unter uns, hat Mutter gesagt,
was?, ja, bringt nichts, das an die grosse Glocke zu hängen. Gibt es noch etwas
anderes als die grosse Glocke und verschweigen, habe ich gefragt, ein
Einzelfall, hat Mutter gesagt, das wird nicht wieder vorkommen, und wieder der
Satz: Wir haben hier noch kein menschliches Schicksal, wir müssen es uns zuerst
noch erarbeiten, genau, und heute, an diesem Sonntag, wo wir im Mondial sitzen,
rauchen, Kaffee trinken, Vater die Eingangstür mit einem Holzkeil blockiert und
Mutter die Toilettentüren fixiert hat, damit das Mondial frische Luft
schnappen kann, bevor es wieder Montag wird, heute will ich über diesen
Einzelfall reden und nicht über die Zahlen, die gar nicht so schlecht sind, die
Mutter mit einem Bleistift unterstrichen hat, sich so in die Zahlen vertieft,
wie man sich an einem Sonntag gar nicht in Zahlen vertiefen kann, ich will
über diesen Einzelfall reden, der offenbar zu unserem Schicksal gehört; Vater,
der seine Stirn in Falten legt, mich mustert, was ist mit dir los, Ildi — ich
brauche Nomi, aber Nomi ist nicht da, hat sich entschuldigen lassen, gesagt,
sie komme später, später ist zu spät, denke ich, trinke Kaffee ohne Satz, ich
wünsche mir meine Mamika, die mir meine Zukunft aus dem

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