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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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Dämmerlicht wild aussehen (ich, die Vater nicht sagen kann, dass sie immer noch
am Suchen ist, weil das für Vater ein Reizwort ist, suchen, ihr sucht immer
etwas, alles ist da, hängt vor eurer Nase, und was tut ihr?, ihr seht Sternchen
überall um euch herum, dreht euch im Kreis wie dumme Tiere), und als Vater auf
der gleichen Stufe steht wie ich, schauen wir uns einen Moment lang an, ein
Schnellzug fährt an uns vorbei, vielleicht hat Vater etwas gesagt, als es laut
dröhnte, die kalte Luft uns ins Gesicht schlug, unsere Haare auffliegen lässt;
wir nehmen im gleichen Schritt die Stufen, gehen durch die Unterführung und die
paar Schritte, die es noch sind bis zum Mondial.
    Drei Sonnen mit Strahlen und
Gesichtern, die uns anlachen, als wir vor unserer Eingangstür stehen, was ist
denn das?, drei Flugblätter, A4, die fein säuberlich, mit durchsichtigen
Klebstreifen fixiert, auf der Glasscheibe unserer Eingangstür kleben. Eine
Einladung zum Puure Zmorge, sage ich, Bauernfrühstück, gratis! Was soll das?,
warum klebt das Zeug da an unserer Tür, und Vater fängt an, die Klebstreifen
vom Glas zu kratzen. Die legen Wert auf unseren Besuch, sage ich, die
Schweizerische Volkspartei, man darf umsonst Chd's und Wurscht essen, dafür wollen sie als
Gegenleistung eine Unterschrift, in der man eine Initiative unterstützt, meist
eine menschenfeindliche. Die ist hier gut vertreten, in der Gemeinde, die Svp, und ich schaue mich um, vielleicht ist er ja noch zu
sehen, der Botschafter. Ist mir völlig egal, wer hier wie vertreten ist, sagt
Vater, hilf mir lieber, wir haben nicht mehr viel Zeit. Lass sie doch kleben,
sage ich, wir können ja noch einen Zettel dazuhängen, ein Dankeschön an die
unbekannte Person, die uns zum Puure Zmorge eingeladen hat.
    Hülye csiny, sagt Vater. Was?, frage ich.
Und Vater übersetzt, weil er glaubt, ich hätte die ungarische Wendung nicht
verstanden, ein Streik, ein dummer Kinderstreik, sagt er, Streich, antworte ich (aber professionell
geklebt, denke ich), und Vater und ich, wir kratzen, rubbeln an verschiedenen
Stellen, und weil das Klebband hartnäckig ist, holt Vater eine Kuchenspachtel
und Alkohol, so eine blöd gemalte Sonne kann man doch nicht ernst nehmen, sagt
Vater (der sich nicht für die Schweizer Politik interessiert, die Politiker
hier sind Schlafsäcke, die Schweizer Politik ist etwas für Rentner, sagt er und
schaut sich die Debatten an, die vom deutschen Bundestag übertragen werden),
Schweizerische Volkspartei, was soll denn das sein, fragt Vater mich in allem
Ernst, das klingt für mich wie tiefster Kommunismus, Volk!, Partei!, Vater, der
ganz offensichtlich alles wieder vergessen hat, was er für die
Einbürgerungsprüfung hat lernen müssen, und ich frage mich, ob die Experten
der Einbürgerungskommission meine Eltern auch über die Schwarzenbach-Initiative
abgefragt haben, die so genannte Überfremdungsinitiative, die eine
zahlenmässige Begrenzung des ausländischen Bevölkerungsanteils in der Schweiz
erreichen wollte; Mutter und Vater, die nicht oft, aber ab und zu darüber
erzählt haben, über die Wochen vor dieser Abstimmung, wie sie überhaupt von der
Abstimmung erfahren haben, mit ihrem spärlichen Deutsch erst mit der Zeit
begriffen, dass es um sie ging, um ihr Leben, dass etwa die Hälfte der
Ausländerinnen und Ausländer die Schweiz hätte verlassen müssen, wäre die
Initiative angenommen worden. Sie hätten Angst gehabt, in die Vojvodina
zurückzukehren mit fast nichts, wieder von neuem anzufangen, zurück in diese
jugoslawische Wüste, sagte Vater, zu diesen idiotischen Titoisten!, aber ein
gewisser Respekt sei geblieben seit diesem Schwarzback. Respekt? Ja, dass man immer
damit rechnen müsse, ausgewiesen zu werden. Vater, der sich am 7. Juni 1970 ins
Wohnzimmer von Herrn Fluri setzen und mit ihm Radio hören durfte, sein Chef
habe eine Flasche Bier aufgemacht, mitten am Nachmittag, als der Radiosprecher
das Resultat bekanntgab - ziemlich knapp, aber abgelehnt!, habe sein Chef
gerufen, und: Proscht, uf ois, auf uns, Miklós! Und sie hätten sogar eine zusammen
geraucht, und er habe die Asche seiner Zigarette ganz vorsichtig in den
Aschenbecher aus Kristall getippt. 75%!, habe sein Chef immer wieder gesagt,
das sei eine grosse Sache! Miklós, du musst dir vorstellen, drei Viertel eines
Kuchens ist an die Urne gegangen, um abzustimmen! Und Vater musste innerlich
lachen, weil er sich vorstellte, wie ein angeschnittener Kuchen ins
Gemeindehaus

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