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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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spaziert, um einen Zettel in den Schlitz zu werfen. Hin grosse Dank an Schmiß, sagte mein Vater, als sie das
nächste Mal die Gläser gegeneinander stiessen, und sein Chef sei ganz gerührt
gewesen über seinen Trinkspruch, ja, Miklós, Prost!, es grosses Dankeschön ad
Schwüler Männer!
    Als wir die Fensterscheibe
nochmals prüfen, ob sie wirklich sauber ist, ich Vater noch etwas über die
Schweizerische Volkspartei erzählen möchte, grüsst uns schon der erste Gast,
guten Morgen, ich bin etwas zu früh, sagt er, ich hoffe, das macht Ihnen nichts
aus. Nein, nein, antworte ich schnell, als müsste ich etwas verbergen, die
drei Flugblätter, die ich noch in der Hand halte, wir sind ja auch schon da,
sage ich, und der Gast lacht, ja, tatsächlich!, und wir lachen alle zusammen,
über meinen Witz, der nicht beabsichtigt war.
    Heute arbeite ich im Service.
    Und auch mein Rücken ist
aufgeregt, ich habe ständig das Gefühl, dass ich jemanden übersehe, der
bestellen oder zahlen will (den Überblick darf man beim Servieren nie
verlieren!), und ich bestelle fünf Kaffees, drei Espressi, zwei dunkle
Milchkaffees, Nomi, die mittlerweile hinter der Theke steht, heute hinter dem Buffet
arbeitet, die Glückliche, denke ich (in einem Kleinbetrieb, in einem
Familienbetrieb muss man jeden Arbeitsschritt von Grund auf beherrschen), Nomi,
die schnell arbeitet, genau, die mir hilft, weil ich den Überblick zu verlieren
drohe, jetzt, um neun Uhr, und die Tür geht ständig auf und zu, die Beamten und
Bauarbeiter, die alle um dieselbe Zeit Pause haben, möglichst rasch bedient
werden wollen, Nomi, die mich mit einem Blick beruhigen kann, mit einer kleinen
Geste, die mir ein Glas kaltes Wasser hinstellt, und es ist eine Kunst, im
Service auch beim schlimmsten Ansturm allen das Gefühl zu geben, dass sie, das
Fräulein, nur dazu da ist, die unterschiedlichsten Wünsche schnell und ohne Hektik
zu erfüllen, und wenn man wirklich professionell ist, kann man da und dort noch
etwas Passendes sagen, ein unaufdringliches Kompliment platzieren (Sie haben
aber eine schöne Brosche), und wenn man so professionell ist, dass einem
niemand die Professionalität anmerkt, dann läuft wirklich alles spielend, rund,
und jeder Gast fühlt sich individuell bedient, nicht abgefertigt, merkt nicht,
dass jeder Platz in der Cafeteria besetzt ist.
    Nomi stellt meine Bestellung
aufs Tablett, was eigentlich meine Aufgabe wäre, Nomi, die ausserdem das Radio
nie anstellt, wenn ich im Service arbeite, weil sie weiss, dass mich das nervös
macht, der Pfister hat sein Ei schon bekommen, sagt sie leise und zwinkert mir
zu (und Mutter hat uns verboten, uns in unserer Geheimsprache zu unterhalten,
weil das die Gäste provoziert, dann glauben sie, dass wir über sie tratschen),
ich setze mich mit vollem Tablett in Bewegung, um die Menschen zu besänftigen,
denke ich, und ich mag die Bauarbeiter, ihre ausgehungerten Augen, die
ungeduldig warten, ihre müden Gesichter, die sich keine Mühe geben, nett
auszuse hen,
sechs, sieben Männer, die am Tisch sitzen, rauchen, kauen oder Kaffee trinken,
die aber vor allem eines nicht wollen, nämlich zuviel reden, guten Morgen!,
und ich stelle die Kaffees auf die zusammengerückten Tische, alle trinken
Kaffee, stark, mit viel Zucker, und auch deswegen mag ich die Bauarbeiter, weil
sie klare Wünsche haben.
    Um neun Uhr ist der Lärmpegel
hoch, es fällt deshalb niemandem auf, dass das Radio ausgeschaltet ist, und
das ist der einzige Vorteil am Neun-Uhr-Ansturm: Im Stimmengewirr beschwert
sich niemand darüber, dass Friedhof ist (Glorija, die sagt, dass Friedhof sei, wenn keine Musik läuft,
Musik gehöre dazu, um sich wohl zu fühlen, beim Kaffee trinken, im Zeitschriften
blättern, eine schöne Melodie mache den Tag positiv), unterschiedliche
Tonlagen, Dialekte, gepresste Nackenstimmen, die sich immer durchsetzen wollen,
und nuschelnde, undeutliche Stimmchen, zu denen ich mich dezent hinbücke, und
gerade in diesem Stimmenchaos fällt mir auf, welche Stimmen wie auf mich
wirken, dass es manchmal nur ein Wort in einem schrillen Frequenzbereich
braucht, Froilein
zallel, dass
ich mich in mein Innenleben zurückziehe (es gibt keinen schlimmeren Fehler im
Service als die Nerven zu verlieren, in der Küche geht das, im Service nie,
nicht einmal im grössten Stress!), ja, Mutter hat schon recht, ich arbeite
nicht gern im Service, und das Einzige, was mich herausfordert, ist, ob ich es
schaffe, von sechs bis zwei ein Fräulein zu sein

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