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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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gewohnt),
und wohin mit Bela, frage ich mich, es wäre fast am Schwierigsten, meinen
Cousin unterzubringen, Tante Icus und Onkel Piris Sohn, Belas Zähne, die zwar
einigermassen in Ordnung sind, aber er wäre imstande, mit allen einen Streit
anfangen, auch ohne ein einziges deutsches Wort zu sprechen, würde er alle
provozieren, Bela, der minutenlang undurchdringlich schauen kann, es gar nicht
merkt, wahrscheinlich deshalb, weil er normalerweise stundenlang in den Himmel
schaut.
    Glorija, die übrigens aus
Kroatien stammt und perfekte Zähne hat (das haben wir sofort gesehen beim
Bewerbungsgespräch), bestellt immer noch Cappuccini, und das an einem ganz
normalen Mittwoch!, und ich fabriziere weiterhin Milchschaumberge, bestäube die
fragilen Spitzen, zeichne zwischendurch mit dem Rahmbläser ein spiralartiges
Gebilde für einen Kaffee Melange, und Tante Icu könnte phantastische,
schwindelerregende Torten backen, ich meine, Tante Icu würde mit ihren
überdimensionierten, grossräumigen Torten alle in eine traumhafte Erregung
versetzen, Schichten über Schichten aus Biskuit und Creme, und ja, es dauert
eine Weile, bis man von der mit karamelisierten Zuckerzärtlichkei ten geschmückten
Tortenoberfläche die unterste Schicht aus Biskuit erreicht, ich würde es ihnen
gern erzählen, dem Verein oder sonst wem, dass Tante Icu Zuckerbäckerin und
Gärtnerin ist und in einer Hanffabrik arbeitet, dass man sie eigentlich mit
einer Concorde 787 einfliegen müsste, damit sie mit ihren beseelten Händen,
wie Onkel Piri sagt, eine Creme aus natürlichen Sünden rühren könnte.
    My darling, ruft Glorija, ich brauche noch
einen frisch gepressten Orangensaft, und ich, mit meiner schwarz-weiss
gestreiften Bluse, beeile mich, drei Orangen zu halbieren, die wunde Fläche auf
den unteren Teil der Presse zu legen, den schwarzen Hebel rasch nach unten zu
ziehen, zu drücken, bis schliesslich aus den Orangen der erwünschte Saft
schiesst, und meine Mutter taucht hinter der Theke auf, fragt, ob sie mir
helfen könne, ja, ich brauche noch zwei kalte Schokoladen, drei Rivella, einen
gespritzten Apfelsaft, und eine Frage, die musst du mir auch noch beantworten,
sage ich. Das hat aber noch ein bisschen Zeit, oder?, und Mutter klemmt die
kalte Milch mit dem Schokoladenpulver in den Mixer, Glorija, immer noch
Bestellungen aufgebend, und die ziemlich laut surrende, blubbernde, pfeifende
Komposition für Dampfhahn, Kaffeemaschine, Mixer verhindert im Moment sowieso
jede Unterhaltung hinter dem Buffet, wir können bald eine kurze Pause machen,
sagt Mutter.
    Und als wir eine halbe Stunde
später am Personaltisch sitzen, Nomi sich zu uns setzt, frage ich, Mutter,
hast du noch nie daran gedacht, dass Tante Icu bei uns in der Küche arbeiten
könnte? Ich meine, wir könnten doch wenigstens Tante Icu zu uns holen, und ich
spreche ganz leise, fast flüstere ich, weil es plötzlich so still ist in der
Cafeteria, sogar das dezente Ticken der Wanduhr ist zu hören, weil jetzt fast
keine Gäste mehr da sind, Mutter, die mich anschaut, sie schaut mich lange mit
ihren grossen Augen an, und ich weiss nicht, ob es stimmt, dass die Augen das
Spiegelbild der Seele sind, vielleicht spiegeln sie wirklich etwas, das im
tiefsten Inneren eines Menschen vor sich geht, aber was nützt einem das, wenn
man es nicht zu lesen versteht? Ich, die gelernt hat, in Mutters Augen zu
lesen, bin fassungslos, weil ich sie so nicht kenne, das Grün ihrer Augen, das
fast schwarz wird, der flächige, weiche Glanz, der sich zu einem Punkt
zusammenzieht, was ist los, denke ich, Mutter, sage ich (und schaue zu Nomi),
ich habe mir gerade vorgestellt —
    Meinst du, ich habe noch nie
daran gedacht, was ich tun könnte für Tante Icu? Doch, schon, sage ich, aber
Mutter lässt mich nicht weiterreden, ihre Augen, die mich ohrfeigen, weisst du,
was ich nachts tue?, weisst du, ob ich schlafe?, du, du bist doch so empfindlich,
Ildi, und jetzt? (Mutters Blick, der mich nicht am Ohr, sondern an der Wange
trifft), und was meinst du würden Onkel Piri und Csilla tun ohne sie?, wie soll
sie denn ausreisen, wie sollen wir ein Visum für sie bekommen?, meinst du, ich
zerbreche mir nicht den Kopf darüber, was wir tun könnten, weisst du, wie oft
ich schon vergeblich mit der serbischen Botschaft telefoniert habe, seit 1991
der Krieg ausgebrochen ist?, Glaubst du, das lässt mich kalt, was unsere
Familie jetzt ertragen muss? Nomi, die Mutters Hände nimmt, nein, das hat sie
nicht gesagt, du bist nicht

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