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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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normalerweise ist
der kroatische Staatspräsident in aufgeräumter Stimmung, summt leise englische
Pop Songs vor sich hin und wiegt sich fast unmerklich in den Hüften, was zu
seinem unauffälligen Make-up passt, zu seinen dezent gezupften Augenbrauen,
und um seine schönen Wangenknochen besser zur Geltung kommen zu lassen, trägt
er heute keine Brille, sondern Linsen, vielleicht farbige, denke ich, Franjo
Tudman, dessen Spezialität es ist, geschäftig und elegant durchs Mondial zu
düsen, schwungvoll auf die mechanische Kasse zu tippen, lag soeben noch mit
einem blutenden Knie auf dem Linoleumboden, in der Küche, neben dem Tiefkühler,
in dem Brote liegen, Croissants, Zehn-Liter-Eiskübel; Tudman ist gegen eine
Frau geknallt, eine, die behauptet, Bosnierin zu sein, eine, die alle Staatschefs
des ehemaligen Jugoslawiens für besessen hält (und plötzlich ist jeder
Politiker religiös, ausgerechnet!, sagte Dragana zu mir, die waren bis vor
kurzem alle noch Kommunisten, Ildi, die kannten nur ihren roten Himmel, und
jetzt? Jetzt hat jeder eine andere Idee vom Himmel, jeder isch Gröschte, was
meinsch, was isch, wenn alle Paare scheided, wil sie nicht de gliiche Religion
sind?, sie
jedenfalls sei mit einem Muslim verheiratet, der esse sogar Schweinefleisch, ab
und zu, wenn sie es gut zubereite).
    Mutter, die hinters Buffet kommt,
mir sagt, ich solle ins Büro, die Menütafel schreiben, und Ildi, bitte, es gibt
keine Unterhaltung über diesen Vorfall, ja klar, sage ich, gebe Mutter meine
Schürze, nehme mir noch einen Kaffee mit, ins Büro, und ich setze mich hin, an
den braunen Tisch, zünde mir eine Zigarette an, werfe einen Blick auf den
Jahreskalender, der an der Wand hängt und bei dem ich immer zuerst auf das
Logo schauen muss, Vertretergeschenke, denke ich und lange nach der weissen
Kreide, Dalibor, schreibe
ich auf die Tafel, Dalibor Dalibor Dalibor, bis sie vollgeschrieben ist,
und ich lehne mich zurück, schaue mir den Namen an, denke daran, dass ich
zusammengezuckt bin, sofort an Vater gedacht habe, als Dalibor mir sagte, er
sei Serbe, ein Serbe aus Kroatien, ausgerechnet?, ich bespucke den Schwamm,
wische mit ihm über den schwarzen Schiefer.
    "Hausgemachte Lasagne mit
gemischtem Salat", soll ich auf die Tafel schreiben, hat Mutter gesagt, "Gemüseteller
mit Spiegelei" (habe ich an Vater gedacht, weil ich mir ausgemalt habe,
wie er reagieren würde, wenn ich ihm Dalibor vorstellen würde, ein Serbe,
würde er sagen, ausgerechnet!), heute Abend werde ich mit Vater reden, und ich
schreibe den Satz auf die Tafel, damit ich ihn nicht vergesse, zünde mir noch
eine Zigarette an, ich werde Vater fragen, ob er nicht auch einen netten Serben
kennt (und ich weiss, dass die nette Ausnahme ein schlechtes Argument ist, oft
nur die verabscheuungswürdige Regel bestätigt), Mutter, die ihren Kopf zur Tür
hineinstreckt, was machst du so lange?, und ich, die die Tafel verdeckt, damit
Mutter meinen Vorsatz nicht sieht.
    Wir sitzen allein am Esstisch,
Mutter und ich, Vater sitzt auf seinem Sessel vor dem Fernseher, er schnappt
nach der Fernbedienung, als Mutter sagt, komm jetzt endlich, Vater zappt, kein
Hunger, brummelt er, steht auf, öffnet den Schrank, langt nach der Flasche,
Mutter und ich, wir essen schweigend, Nomis Platz, der gedeckt ist, sie kommt
bestimmt bald, sagt Mutter, Vater antwortet nicht, verschwindet in der Küche,
Mutter, die mich mit erhobenen Augenbrauen anschaut, weisst du, wo sie ist,
flüstert, während Vater fluchend das Eis aus dem Behälter klopft,
wahrscheinlich im Wohlgroth, antworte ich, oder bei Dave, aber einen Tag und
eine Nacht wegbleiben, das hat sie noch nie gemacht. Ja stimmt, antworte ich,
laut genug, damit Vater es hört, ein Mal ist immer das erste Mal, und wir sind
doch alt genug, oder? Mutter, die ganz bleich wird, ihre schönen Augen, die
verschiedene Geschichten erzählen, die aber alle denselben Inhalt haben: bitte
keinen Streit jetzt! Sei still, er könnte uns hören!, ich ertrage es nicht,
wenn es laut wird. Ein Streit ist wie ein schlechtes Essen, es verdirbt den
Magen! Und ich höre, wie Vater aus der Küche tritt, und ich beuge mich etwas
nach vorne, lange nach einem Stück Brot, aber Vater geht an mir vorbei, an
meinem Rücken, die Eiswürfel klingen hell, als er sich wieder in seinen Sessel
setzt, den Fernseher lauter stellt; Mutter und ich, wir essen noch ein paar
Bissen, bevor wir damit aufhören und auf unseren Stühlen sitzen bleiben, als
würden uns der Tisch und die

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