Abonji, Melinda Nadj
Stühle brauchen, wir sitzen, und es fällt uns
keine Unterhaltung ein, weil wir einzig da sind, um zu registrieren, was Vater
tut, eine Zigarette nach der anderen rauchen, aufstehen, die Hausbar öffnen,
das Glas auffüllen, in der Küche FJs holen, das Eisfach zuknallen, sich wieder
hinsetzen, und Vaters Stille wird unüberhörbar, es gibt Menschen, die sind so
laut, wenn sie still sind, denke ich, möchte aufstehen, um die Teller
abzuräumen, den Käse einzupacken, den Schinken, aber ich, die sich nicht rühren
kann, denke an Nomi, dass sie eigentlich die ältere ist von uns beiden, dass
sie Dinge tut, die ich nie wagen würde (Nomi, die nicht aus einem Konzept
heraus, sondern aus einer Laune heraus unangepasst ist, auf eine frische Art
gedankenlos, schon damals, in der Primarschule, als sie sich getraute, einen
violetten Overall anzuziehen, obwohl eine Clique von vier steinreichen Mädchen
in ihrer Schule den Ton angab, vorgab, wann was in war, weder violett noch
Overall waren angesagt, als Nomi ihn trug, bei den tonangebenden Mädchen war
sie deshalb unbeliebt, aber genau deswegen auch beliebt, sogar umschwärmt, weil
sie mit ihrem eigenen Kopf, ihrer unverkrampften Art, ihn durchzusetzen, "etwas"
hatte, etwas, dem sich niemand entziehen konnte, Nomi, die bis weit in ihre
Augen lachte, wenn die Clique von ihr behauptete, sie sei eine Bubenschmöckerin, eine, die den Jungs
nachhängt).
Es ist nach zehn, als Vater zu
reden anfängt, er flucht über die beiden Hühner, dass man sich ja fragen
müsse, wenn zwei Hühner sich in die grosse Politik einmischten, als hätten sie
eine Ahnung, eine Ahnung wie ein Süsswasserfisch vom Meer, nämlich keine!, und
ich begreife erst jetzt, dass Vater von Dragana und Glorija spricht, sich
nochmals darüber ereifert, dass sie es wagen konnten, so laut zu streiten, es
gibt nichts Schlimmeres als zwei Hühner, die aufeinander loshacken, flucht
Vater, und Mutter atmet durch, weil sie glaubt, Vater sei wenigstens einen
Moment lang abgelenkt vom Warten auf Nomi, und natürlich werden die Gäste
darauf aufmerksam, wenn sich zwei Hühner auf Serbisch alles Schändliche sagen,
Vater, der dem Fernsehsprecher zuprostet, der Meili von der Gemeinde hat mich
heute Nachmittag gefragt, ob wir denn alle Jugos seien, und ich musste dem
Meili erklären, dass wir Ungarn sind, warum weiss der Meili das nicht?, könnt
ihr da vorne eigentlich den Gästen nicht erklären, was der Unterschied ist
zwischen Slawen und Ungarn?, dass Ungarisch und Serbisch so viel miteinander zu
tun haben wie ein Huhn mit einem Hühnerauge, das müsste doch allen klar sein!
Mutter, die nochmals durchatmet, sich einen Ruck gibt, auf steht, die Butter,
den Käse, den Schinken in die Küche trägt, so, wie es eine professionelle
Serviertochter tut, und wahrscheinlich denke ich, dass es nicht der ideale
Abend ist, um von Dalibor zu erzählen, Mutter, die mit raschen Schritten wieder
ins Wohnzimmer kommt, die Teller geräuschvoll übereinander stellt; du musst
mich jetzt noch stören, ruft Vater, kannst du diese blöden Teller nicht da
lassen, wo sie sind?, was willst du damit sagen, dass du jetzt anfängst
aufzuräumen? Vater steht wieder auf, füllt das Glas, trinkt jetzt ohne Eis, und
ich, die immer noch sitzt, glaube, dass Nomi nicht mehr kommt, dass sie
klammheimlich ausgezogen ist, und ich würde gern in ihr Zimmer gehen, um
nachzuschauen, ob sie ihre Kleider mitgenommen hat, ihre Lieblingsbücher,
aber ich sitze fest, auf meinem Stuhl, unter der Wohnzimmerlampe, mein Gesicht,
festgefroren, im Fenster der Veranda, irgendetwas haben wir falsch gemacht,
irgendetwas müssen wir falsch gemacht haben, sagt Vater, spricht in derselben
Lautstärke wie der Fernseher, würde ich sonst hier sitzen und auf meine Tochter
warten? (ich, die geahnt hat, dass die Hühner nur ein Einstieg sind, ich höre,
wie Mutter abwäscht, lauter als sonst, der scharfe Strahl des Wasserhahns, das
klirrende Geschirr), worauf wartest du denn, Miklós?, sagt Vater, dass eine so
ist, wie du es dir erhofft hast?, einen Dreck ist sie wert, die Hoffnung, und
Vater lässt sein Glas gegen den Wohnzimmertisch knallen, ein falscher Stern!,
und Vaters Stimme saust nach oben, ohhhhh jaaa, als nächstes bringen sie ihre
Männer unter mein Dach, und dann soll ich der Kollege sein von den Männern
meiner Töchter, mit ihnen Duzis machen, per du, froit mil, sagt Vater und schüttelt eine Hand in der Luft (und
mir fällt ein, dass mir bei einem Klassenausflug, ich war
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