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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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was es heisst, wenn ich sage, "mit den Viechern leben"? Wir
haben unsere Pferde, Kühe, Schweine, Gänse, Enten und was wir sonst noch alles
hatten, immer auch als Teil unserer Seele angesehen. Wir haben also gelernt,
auf die Viecher zu hören, auf jede erdenkliche Art.
    Auf unserem Hof hatten wir
vier Hunde, und wir wussten, wie sie bellen, wenn ein Fremder in der Nähe war,
wir wussten, dass Vigec immer als Erster bellte, und erst nach einer kurzen
Weile setzten die anderen ein, leiser und zurückhaltender. Als im Jahr 1942
erstmals die Faschisten auf unserem Hof auftauchten, dämmerte es bereits, und
wir sassen alle am Tisch, Papuci, euer Vater, Onkel Móric und ich. Vigec fing
an zu bellen, und wir hörten auf, an unseren Broten zu kauen, nicht deshalb,
weil Vigec zu bellen angefangen hatte, sondern weil er nach ein paar kurzen
Kläffern bereits wieder still war. Papuci erhob sich, schaute uns der Reihe
nach an, sagte, wir sollten uns nicht von der Stelle rühren, wusch sich rasch
die Hände, bevor er nach draussen ging.
    Ich konnte natürlich nicht auf
meinem Hintern sitzen bleiben. Über die Hintertür schlich ich mich in den
Garten, beobachtete und hörte von da aus, was geschah. Drei uniformierte
Männer, die ich noch nie gesehen hatte und die zu Fuss oder mit Fahrrädern
gekommen sein müssten, hatten sich mit verschränkten Armen beim Ziehbrunnen
aufgestellt. Vigec sass ganz nah und reglos bei ihnen, mit aufgerichteten
Ohren, so, als würde er von ihnen irgendwelche Anweisungen erwarten, und das
war schon sehr aussergewöhnlich. Als Papuci leise durch die Zähne pfiff, verzog
er sich an seinen Stammplatz. Einer der Männer trat vor, sagte, ohne ein
Grusswort, ohne sich vorzustellen: Kocsis, wir brauchen solche Männer wie
dich. Wir haben gehört, dass du Instinkt hast und Verstand. Deine Pferde sind
die besten hier in der Gegend, und der Sprecher lobte euren Grossvater, aber
seine Stimme hatte nichts Weiches, sie zog sich vielmehr schneidend durch die
Luft, seine Stimme war es gewohnt, Befehle ausführen und zu geben.
    Ich sah nur Papucis Rücken,
und ich habe nie vergessen, wie er seine Arme hängen liess. Dass er seine
schweren Hände nirgendwo verstaute, weder in den Hosentaschen noch hinter dem
Rücken, fand ich sehr bemerkenswert. Aber so wirkte sogar sein Rücken stolz und
aufrichtig, gerade deshalb, weil er auf jeden Schutz verzichtete.
    Ihr seid mir nicht vertraut,
sagte Papuci, nach einer Pause, die mir unglaublich lange vorkam, so kann ich
mit dem, was ihr sagt, nicht viel anfangen. Aber vielleicht könnt ihr mir,
einem einfachen Bauern, verraten, woher ihr diese verführerischen, glänzenden
Stiefel habt?
    Ich erwartete, dass sie Papuci
schlagen, ihn zumindest beleidigen würden, und ich faltete meine Hände,
murmelte ein Gebet. Es geschah nichts. Der Angesprochene schwieg, und Papuci
blieb in der gleichen Körperhaltung stehen, schwieg ebenfalls, und das Einzige,
was die Männer nun eine ganze Weile taten, war, einander mit den Blicken zu
messen. Dann gab der Anführer einen kurzen Befehl, und die drei zogen ab.
    Was dann geschah, meine
Lieben?
    Wir bekamen fast wöchentlich
Besuch. Immer waren es andere Männer, immer trugen sie dieselben Stiefel, und
ihr Haar im Nacken war kurz geschoren, damit nicht einmal der Wind sich an ihm
erfreuen kann, sagte Papuci. Jedes Mal fragten sie ihn, ob er sich's überlegt
habe, und stets stachelte Papuci sie mit irgendeinem Spruch an, seht her, ich
habe keinen Platz für die Ideen von anderen, ich bin zufrieden mit dem, was ich
habe, was ist daran auszusetzen? Wortlos führten die Männer ein Pferd ab, ein
paar Schweine oder verluden einen Teil unserer Maisoder Weizenernte auf einem
Wagen. Móric und Miklós waren enttäuscht und wütend, dass Papuci und ich den
Raub unseres Besitzes, vor allem unserer geliebten Tiere, widerstandslos
zuliessen. Eines Tages erwischte Papuci Móric, wie er mit seinen zwölf Jahren
gerade die Schrotflinte gegen einen Uniformierten ansetzte. Papuci ohrfeigte
ihn, und zwar so, dass er blutete: Du bist übrigens kein Held, wenn du das
Leben von uns allen aufs Spiel setzt!
    Onkel Lajos, einer von Papucis
zahlreichen Onkeln, mischte bei den Faschisten ganz oben mit, das müsst ihr
wissen. Er liess sich zwar nie bei uns blicken, aber wahrscheinlich war er es,
der verhinderte, dass Papuci von den "Nacktnacken", wie wir sie
nannten, getötet wurde. Euer Grossvater wurde zwar noch einberufen, er hätte
also für die Faschisten irgendwo in

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