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Abonji, Melinda Nadj

Abonji, Melinda Nadj

Titel: Abonji, Melinda Nadj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tauben flieggen auf
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Russland kämpfen müssen, aber dazu kam es
nicht mehr, da sich die Verhältnisse nach Stalingrad schlagartig änderten.
    Ich weiss nicht mehr genau,
wann es war, 1945 oder 1946, da wurden der Lajos und etliche, die mit den
Faschisten sympathisiert hatten, von den Kommunisten am Flussufer erschossen.
Wochenlang färbte sich das Wasser rot, die Fische, auf die wir keinen Appetit
mehr hatten, vermehrten sich und wurden dick. Meine Fischsuppe, die alle so liebten
und die es bei uns immer freitags gegeben hatte, konnte ich deshalb jahrelang
nicht mehr kochen. Auch den grössten Verbrechern müsste man den Prozess machen,
sagte Papuci, nachdem wir erfolglos nach der Leiche von Lajos gesucht hatten.
    Nach Stalingrad waren es also
die Partisanen, die bei uns auftauchten und auf ihre Art wüteten. Sie waren
ihrerseits vom Krieg fanatisiert, suchten überall, auf jedem kleinsten Hof,
nach Faschisten, vergewaltigten unsere Waschfrau, quälten die Tiere, wenn sie
Lust dazu hatten, betranken sich, frassen so viel, dass sie sich übergeben
müssten. Meine Lieben, glaubt mir, ich könnte euch noch viele grausige Einzelheiten
erzählen, aber wozu. Tatsache ist, dass fast jedes Jahr neue Schrecken brachte,
und wir, und mit uns viele andere, wurden daran gehindert, unser einfaches Leben
zu leben. Und wir müssten unseren Kindern Dinge erklären, für die wir selbst
keine Erklärung hatten.
    Weisst du es schon, wir leben
in einem neuen Staat! So versuchten wir uns darüber lustig zu machen, dass
unser Hof, der doch immer noch an derselben Stelle stand, wieder einmal zu
einem neuen, besseren Land gehören sollte, zur Volksrepublik Jugoslawien. Wir
müssen nirgendwohin, die unterschiedlichsten Regierungsformen kommen zu uns,
als hätten wir sie gerufen. Die Monarchie! Der Faschismus! Und jetzt kommen die
Roten, die auch etwas auf dem Herzen haben, was, das werden wir noch früh genug
erfahren, sagte Papuci. Bis jetzt wissen wir nur, dass unser Staatsoberhaupt
einen kurzen Namen hat, und wir wissen auch warum: Hat man je von einer
Schokolade, von einem Waschmittel mit einem langen, komplizierten Namen
gehört? Alles, was wir nicht unbedingt brauchen, soll sich mit blödsinnig
plumpen Namen in unseren Köpfen einnisten. Aber wer hat eigentlich gesagt, dass
man Politik braucht? Genügt das einfache Leben nicht?
    Mamika zwinkerte uns zu, so
konnte euer Papuci reden, wenn er einmal in Fahrt kam.
    1946 fingen die Enteignungen
an. Wieder tauchten auf unserem Hof Köpfe auf, diesmal aber solche, die wir
kannten. Bourgeois Kocsis, du solltest, solange du noch kannst, Genosse werden,
du solltest dein unrechtmässig erworbenes Land abgeben, eine neue Zeit bricht
an. Jener, der das sagte, hatte bis vor kurzem bei uns gearbeitet. Geza, sagte
Papuci, nichts weiter. Was sollen wir tun?, fragte ich, nachdem Geza und seine
Männer sturzbetrunken und mit vollgestopften Taschen wieder abgezogen waren.
Nichts, antwortete Papuci.
    In dieser Zeit träumte ich
jede Nacht von unseren Pferden, die mich mit diesen Pferdeaugen anschauten,
und jedes schien mit mir zu sprechen, und jede Geschichte endete mit dem Tod.
An einen Traum kann ich mich besonders deutlich erinnern, weil ich danach ganz
sicher war, dass etwas Schreckliches geschehen würde. Ich träumte, dass ich aus
dem Tiefschlaf gerissen wurde, weil es sintflutartig regnete. Niemand ausser
mir war im Haus, weder Papuci noch die Kinder. Ich sah, als ich aus dem Küchenfenster
schaute, dass unser bestes Pferd am Akazienbaum festgebunden war. Es rührte
sich nicht, obwohl es bereits knöcheltief im Wasser stand. In meiner Verzweiflung
riss ich das Fenster auf, schrie in den Hof hinaus, wollte das Pferd ermutigen,
sich loszureissen. Aber das Pferd schien ergeben auf seinen Tod zu warten, und
ich konnte es nicht befreien, da ich keine Möglichkeit sah, die Wassermassen zu
überwinden, nicht einmal die Tür hätte ich öffnen können. Im nächsten Moment
hatte ich eine grosse Bürste in der Hand, ich bürstete die blossen Knochen des
Pferdes, das ich soeben noch hatte retten wollen. Ich weinte, weinte, bürstete,
hoffte, bat den Himmlischen, durch meine Reinigung mein geliebtes Pferd wieder
lebendig werden zu lassen.
    Ich erzählte Papuci nichts von
meinen Träumen, aber als die "Besuche" der Kommunisten immer häufiger
wurden, ich die unersättliche Gier unserer ehemaligen Freunde sah, die jetzt zur
einzig richtigen Partei gehörten, die unverfrorene Art, ihre aufgekratzten
Augen, mit denen sie jede

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