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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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geschützte Umgebung handelte, hätte eigentlich eine Erleichterung sein sollen. Doch gleichzeitig krampfte sich mir bei der Vorstellung, dass sie in einem Krankenhaus eingesperrt war, der Magen zusammen; ich fühlte mich richtig zittrig. Zwang mich dazu, tief durchzuatmen. »War sie allein?«
    »Bitte?«, fragte Cora.
    »Als man sie gefunden hat. War sie allein?«
    Sie nickte. »Was . . . Hätte denn jemand bei ihr sein sollen?«
    Ja
, dachte ich.
Ich
. Spürte plötzlich einen Kloß im Hals. Und dass mir die Tränen in die Augen schossen. »Nein«, antwortete ich. »Ich meine ja bloß . . . Als sie abhaute, hatte sie jedenfalls gerade einen festen Freund.«
    Cora und Jamie wechselten erneut einen Blick. Und mir stand unvermittelt wieder die Situation vom letzten Mal vor Augen, als ich heimgekommen war und sie ebenfalls auf mich gewartet hatten, hier, in diesem Haus. Als ich damalsin den Spiegel geblickt hatte, sah ich für einen flüchtigen Moment nicht mich, sondern meine Mutter oder zumindest einen Teil von ihr: ungepflegt, halb besoffen, völlig derangiert. Doch zumindest
hatte
jemand auf mich gewartet. Wohingegen kein Mensch meine Mutter von der Straße aufgelesen und dafür gesorgt hatte, dass sie sicher nach Hause kam. Wahrscheinlich war es der pure Zufall, dass man sie rechtzeitig gefunden hatte: die Schichteinteilung eines Zimmermädchens, eine Zimmernummer, eine Uhrzeit, ein Datum . . .
    Sie war also gefunden worden. Nicht mehr verschollen. Als wäre eine Tasche, die ich vor langer Zeit für eine mittlerweile vergessene Reise gepackt und längst abgeschrieben hatte, mitten in der Nacht unvermutet auf meiner Türschwelle wieder aufgetaucht. Ein komisches Gefühl, auf einmal zu wissen, wo sie steckte. Denn eigentlich war ich daran gewöhnt, dass meine Mutter sich überall und nirgends herumtrieb. Doch jetzt konnte man sie auf einen ganz bestimmten Punkt festnageln. Als wäre sie aus meiner Fantasie, in der ich mir eine Million mögliche Leben für sie ausgedacht hatte, in dieses eine, konkrete zurückgekehrt.
    »Also, was . . .?« Ich unterbrach mich. Schluckte. »Was passiert jetzt?«
    »Die erste Behandlungsphase ist auf drei Monate angelegt«, antwortete Cora. »Danach muss sie selbst ein paar Entscheidungen treffen. Ideal wäre natürlich, sie würde auf dem Weg weitermachen, in einer geschützten Umgebung bleiben. Aber das hängt letztlich allein von ihr ab.«
    »Hast du mir ihr gesprochen?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Wie hast du es dann erfahren?«
    »Über ihre letzten Vermieter. Die von der Klinik habenjemanden gesucht, den sie benachrichtigen können. Vergeblich. Deshalb haben sie alles, was sie an Daten über sie hatten, durch den Computer gejagt. Irgendwie tauchte dabei deren Name auf. Und die Leute riefen dann wiederum hier an.« Sie wandte sich an Jamie. »Wie hießen sie noch gleich? Huntington?«
    »Honeycutt«, sagte ich. Und natürlich schwirrten sie mir längst im Kopf herum: Alice, die aussah wie ein kleiner Kobold, Ronnie in seinen praktischen karierten Hemden.
Vorsicht bei Fremden an der Haustür
, hatte Alice an dem Tag zu mir gesagt, als wir uns kennenlernten. Und jetzt waren sie indirekt nicht nur dafür verantwortlich, dass ich Cora wiedergefunden hatte, sondern auch meine Mutter. Ein sehr eigenartiges Zusammentreffen.
    Plötzlich merkte ich, wie mir total heiß wurde. Es war einfach alles zu viel auf einmal. Hektisch schaute ich mich um, versuchte, mich auf diese Weise zu beruhigen. Doch alles, was ich sah, war die schöne saubere Eingangshalle in diesem schönen sauberen Viertel, alles, was sich ergeben und entwickelt hatte, seit meine Mutter verschwunden war. Es war gewachsen, immer größer geworden, und hatte sich an der Stelle   – der Leerstelle   – niederlassen können, die entstanden war, als sie abhaute.
    »Trotzdem ist alles in Ordnung, Ruby«, meinte Jamie. »Dadurch wird sich nichts ändern. Im Gegenteil, Cora war sich nicht einmal sicher, ob wir es dir erzählen sollen, aber   –«
    Er unterbrach sich, weil ich meine Schwester fixierte. Ihre Hände hatten das Telefon noch nicht losgelassen. Sie wich meinem Blick nicht aus. »Aber wir haben es dir erzählt«, fuhr sie statt seiner fort. »Das heißt jedoch nicht, dass du dich zu irgendetwas verpflichtet fühlen musst. Das sollte dir unbedingt klar sein. Was als Nächstes mit Mamaund dir passiert   – oder ob überhaupt   –, ist ganz allein deine Sache. Du entscheidest.«
    Was

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