About Ruby
allerdings nicht ganz stimmte, wie sich bald herausstellte. Denn die Klinik, in der meine Mutter behandelt wurde – was im Übrigen Cora und Jamie bezahlten, doch das fand ich erst sehr viel später heraus –, war ziemlich strikt, was die Behandlung betraf. Und man konzentrierte sich dort nun mal ausschließlich auf den Patienten. Im Klartext hieß das: Kontakt nach außen, also zu Freunden oder Verwandten, war verboten, zumindest am Anfang. Keine Telefonate. Keine E-Mails . Wir hätten ihr schreiben können, aber die Briefe wären für später aufbewahrt worden. »Es ist bestimmt nur zu ihrem Besten«, meinte Cora, als wir darüber sprachen. »Wenn sie es wirklich schaffen soll, muss sie es allein schaffen.«
Wobei wir zu diesem Zeitpunkt nicht wussten, ob meine Mutter die Behandlung überhaupt fortsetzen würde; schließlich hatte sie nicht eben freiwillig damit begonnen. Genauso schnell, wie sie in der Notaufnahme wiederbelebt worden war, kam die Polizei dahinter, dass gegen sie etliche Haftbefehle wegen geplatzter Schecks vorlagen. Ihr blieb bloß die Wahl zwischen Knast oder Entzugsklinik. Ich wäre optimistischer gewesen, wenn sie sich freiwillig für den Entzug entschieden hätte. Doch zumindest zog sie das Programm erst einmal durch, jedenfalls vorläufig.
Dadurch wird sich nichts ändern
, hatte Jamie gesagt. Doch schon im selben Moment wusste ich, dass das nicht stimmte. Nicht stimmen konnte. Meine Mutter war immer der Fixpunkt in meinem Leben gewesen, an dem ich mich orientiert hatte. In jeder Beziehung. Wenn ich wusste, wo sie steckte, wie es ihr ging, wusste ich auch, wo ich stand. In den Monaten seit ihrem Verschwinden hatte ich das Gefühl gehabt zu treiben, frei schwebend, ohne jeglicheBegrenzung, aber auch ohne einen Rahmen oder eine Gewissheit. Und auf die wartete ich, jetzt, da ich zumindest wusste, wo sie sich aufhielt. Aber sie stellte sich nicht ein. Im Gegenteil, ich fühlte mich verunsicherter denn je zuvor. Konnte weder vor noch zurück, steckte irgendwo zwischen meinem neuen Leben und dem alten, das hinter mir lag, fest.
Zudem kam es mir vor wie eine Ironie des Schicksals, dass all dies so bald geschah, nachdem der Kontakt zwischen Nate und mir abgebrochen war. Ich fragte mich allmählich, ob es für mich immer so laufen würde, ob es für mein Leben typisch war: als wäre ich nicht in der Lage, mit mehreren Menschen gleichzeitig verbunden zu sein. Meine Mutter tauchte auf, Nate war gegangen. Eine Tür öffnete sich, während eine andere geschlossen wurde.
In den folgenden Tagen und Wochen versuchte ich, meine Mutter wieder zu vergessen, wie zuvor auch schon. Doch erwies es sich dieses Mal als wesentlich schwerer. Zum Teil lag es daran, dass sie nicht mehr verschollen war. Aber es hing auch damit zusammen, dass ich, wo ich ging und stand – Schule, Arbeit, sogar auf der Straße –, Frauen und Mädchen begegnete, die eins von Harriets Schlüsselcolliers um den Hals trugen. Jedes einzelne ein funkelnder, wunderhübscher Blickfang, deutlich sichtbares Symbol für dieses mein neues Leben. Trotzdem existierte das Original um meinen eigenen Hals natürlich auch noch: abgewetzt, zerkratzt, ein banaler, fast primitiver Gegenstand, eher praktisch als romantisch. Dieser Schlüssel schloss nicht bloß die Tür des gelben Hauses auf, sondern noch eine weitere, tief in meinem Herzen. Eine, die bereits seit so langer Zeit verriegelt und verrammelt war, dass ich nicht einmal wagte, sie zu berühren. Denn ich hatte eine Höllenangst vor dem, was sich möglicherweise auf der anderen Seite verbarg.
Kapitel sechzehn
»Im Prinzip buddelt man also ein Loch, füllt es mit Wasser und schmeißt ein paar Fische hinein«, sagte Olivia.
»Nein«, antwortete ich. »Erst muss man ein Pumpsystem und einen sogenannten Schwimmschlammräumer installieren. Dann braucht man Steine, Pflanzen und eine Vorrichtung, um die Fische vor den Vögeln zu schützen, die scharf auf die Fische sind. Ganz zu schweigen von den diversen Methoden zur Wasseraufbereitung und Algenbekämpfung.«
Olivia beugte sich nachdenklich vor, spähte in den Teich. »Ich habe das Gefühl, so ein Teil macht echt Arbeit«, meinte sie. »Vor allem, wenn man bedenkt, dass man nicht einmal drin schwimmen kann.«
Olivia und ich hatten schon seit Stunden an unseren jeweiligen Englisch-Projekten gearbeitet und hatten die Tatsache, dass ich sie ja endlich einmal Jamie – der wie jeden Samstagmorgen geschäftig um den Teich herumwuselte
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