About Ruby
gemeinten entnervten Blick zu, doch Jamie strahlte. Alles andere wäre auch untypisch gewesen.
»Jamie, das ist meine Freundin Olivia«, sagte ich.
»Nett, dich kennenzulernen. Wir können uns gern duzen.« Er hielt ihr seine Hand hin.
Die beiden begrüßten einander per Handschlag. Dann hockte Jamie sich an den Rand des Teichs, hielt seine Hand ins Wasser, schöpfte ein wenig davon, ließ es durch seine Finger rinnen. Olivia sog unvermittelt scharf die Luft ein. »Hilfe, jetzt weiß ich, woher ich dich kenne. Du bist der UMe-Typ!«
Jamie sah erst sie an, dann mich. »Mh«, meinte er. »Ja, könnte sein.«
»Du erkennst ihn wegen UMe wieder?«, fragte ich.
»Na klar. Sein Foto ist auf der neuen Startseite abgebildet. Auf die ich ungefähr zehn Millionen Mal am Tag gehe.« Olivia schien fast unter Schock zu stehen. »Ich fasse es nicht. Ruby hat nie auch nur einen Ton gesagt.«
Jamie stand auf. »Tja, Ruby ist nicht leicht zu beeindrucken.«
Olivia anscheinend dafür umso mehr. »Deine Website hat mein Leben gerettet, als ich die Schule wechseln musste«, sprudelte sie aufgeregt hervor, was ganz untypisch für sie war.
Und
sie legte eine Hand auf ihr Herz. So viel Pathos kannte ich gar nicht von ihr. Ungläubig blickte ich sie an.
»Ach ja?« Jamie wirkte erfreut.
»Absolut. Ich habe jede Mittagspause in der Bibliothek verbracht und via UMe mit meinen alten Freunden gechattet. Natürlich auch die ganze Nacht lang.« Sie seufzte wehmütig. »Es war wie eine Nabelschnur, meine einzige Verbindung zu ihnen.«
»Plus dein Handy.« Ich konnte mir nicht verkneifen, kurz darauf hinzuweisen.
»Auf dem ich meine UMe-Seite auch checken kann«, konterte sie. An Jamie gewandt, fuhr sie fort: »Die Website ist übrigens super aufgebaut. Sehr benutzerfreundlich.«
»Findest du? Wir hatten in letzter Zeit ein paar Beschwerden.«
»Quatsch.« Olivia winkte lässig ab. »Alles ganz einfach. Das System mit den Freundeslisten allerdings . . . Das müsste noch mal überarbeitet werden. Ich finde es bescheuert.«
»Wirklich?«, fragte Jamie. »Wieso?«
»Vor allem, weil sie total umständlich sind, wenn man einen Suchlauf startet«, antwortete sie. »Wenn man eine Menge Freunde und Listen hat, sie aber neu zusammenstellenwill, muss man alle einzeln durchscrollen, was Ewigkeiten dauert.«
Ich dachte an meine eigene UMe-Seite, die seit Monaten brachlag. »Wie viele Freunde hast du denn?«, erkundigte ich mich.
»Ein paar Tausend«, erwiderte sie. Ich sah sie zweifelnd an. »Glaubst du mir etwa nicht? Online bin ich megabeliebt.«
»Muss wohl so sein«, sagte ich.
Als Olivia ging, schleppte sie glücklich eine UMe-Umhängetasche mit, bis zum Anschlag mit UMe- T-Shirts und -Aufklebern vollgestopft. Nachdem ich sie zur Tür begleitet hatte, ging ich zu Jamie in die Küche. Er marinierte Hühnchen fürs Abendessen. Als ich reinkam, begann das Telefon zu läuten. Ich wollte abnehmen, doch er warf einen Blick aufs Display und schüttelte den Kopf, als er sah, wer der Anrufer war. »Nein, lass den Anrufbeantworter rangehen.«
Auch ich warf nun einen Blick aufs Display. Dort stand CROSS, BLAKE. »Du gehst nicht ans Telefon, wenn Mr Cross anruft?«
»Ja«, meinte er seufzend, träufelte etwas Olivenöl über das Huhn und schüttelte leicht die Backform, in der es lag, damit das Öl sich verteilte. »Eigentlich mag ich so was gar nicht. Aber er fängt immer wieder hartnäckig mit dieser Investitionsmöglichkeit an, deshalb . . .«
»Was für eine Investitionsmöglichkeit?«
Er musterte mich, als wäre er sich nicht sicher, ob er sich mir gegenüber weiter darüber auslassen sollte oder nicht. Fuhr jedoch schließlich fort: »Ach weißt du, Blake ist ziemlich umtriebig. Er hat immer irgendwelche großen, vielversprechenden Pläne und Geschäftsideen.«
Ja, heute Morgen hatte Mr Cross Jamie im Garten regelrechtaufgelauert. »Und er möchte mit dir Geschäfte machen?«
»So ungefähr.« Jamie trat an den Küchenschrank über dem Herd, öffnete ihn, wühlte suchend darin herum. Holte schließlich eine große Flasche Essig heraus. »Er möchte seine Firma erweitern und sucht stille Teilhaber. Aber ich vermute, er ist schlicht und einfach knapp bei Kasse, wie beim letzten Mal.«
Ich schaute zu, wie er ein paar Tropfen Essig über das Huhn träufelte, sich vorbeugte, daran roch, noch etwas mehr Essig hinzufügte. »Er hat sich also schon mal an dich gewandt?«
Er nickte. Verschloss die Flasche wieder. »Letztes Jahr, kurz nachdem
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