About Ruby
wäre wirklich nicht nötig gewesen«, erwiderte ich.
»Weiß ich. Aber nach unserem Gespräch neulich bin ich ins Grübeln geraten. Du hattest recht. Wegen der Schlüsselcolliers, meine ich. Ohne dich hätte ich das alles nie geschafft. Niemals.«
»Deswegen habe ich das aber nicht gesagt«, meinte ich.
»Weiß ich«, wiederholte sie. »Trotzdem hat es mich zum Nachdenken gebracht. Über eine Menge Dinge.«
Sie blickte zu Reggie hinüber, der ihre Plastiktüte nach wie vor mit Zeugs füllte. Mir fiel auf, dass sie ungewöhnlich handzahm war, als es um das Zink ging. Und überhaupt – was hatte es mit den Nahrungsergänzungsmitteln (probeweise) auf sich? »Moment mal.« Ich deutete erst auf sie, dann in Richtung Reggie, dann wieder auf sie; mein Finger wackelte fast anklagend hin und her. »Was geht hier ab?«
»Gar nichts.« Resolut schloss Harriet die Kassenschublade.
Ich hob skeptisch die Augenbrauen.
»Okay. Wenn du es unbedingt wissen willst: Wir waren gestern Abend nach der Arbeit einen trinken. Und er hat mich überredet, ein paar Sachen auszuprobieren.«
»Aha? Und . . .?«
»Jajaja. Vielleicht hat er mich
auch
gefragt, ob ich mit ihm essen gehe . . .«, fügte sie gedehnt hinzu.
»Harriet! Du hast deine Meinung geändert!?«
Sie seufzte bloß schwer. Reggie schloss die für Harriet bestimmte Tüte, fuhr mit zwei Fingern sorgfältig an dem Plastikreißverschluss entlang. »Erst wollte ich nicht«, antwortete sie, »sondern habe ihm genau dasselbe erzählt wie dir. Dass ich Angst hätte, es würde nicht funktionieren, sondern nur unsere Freundschaft kaputt machen.«
»Und weiter?«
»Er meinte, er würde mich gut verstehen.« Sie seufzte erneut. »Wir haben noch etwas getrunken, ich habe seine Einladung zum Abendessen angenommen. Das war’s.«
»Und was ist mit den Vitaminen?«
»Keine Ahnung.« Sie machte eine abwehrende Geste. »So was passiert eben.«
»Ja«, antwortete ich. Schaute zu Reggie hinüber. Er hatte so viel Geduld gehabt – und bekam am Ende, was er wollte. Oder zumindest eine Chance. »Kommt mir bekannt vor.«
Ich ging zur Bank, um den Scheck einzuzahlen, erledigte noch ein paar Kleinigkeiten, marschierte dann außen um das Einkaufszentrum herum Richtung Grüngürtel. Der
VISTA
-5000-m-Lauf war zu dem Zeitpunkt so gut wie zu Ende. Ein paar Teilnehmer trieben sich noch auf dem Gelände herum und tranken Gatorade aus Pappbechern. Aber die meisten Leute waren schon wieder gegangen, weshalb ich Olivia dieses Mal sofort entdeckte. Sie stand auf dem Bürgersteig, reckte den Hals und beobachtete, wie die allerletzten Läufer langsam auf die Ziellinie zutrabten.
»Laney hat’s noch nicht geschafft?«, fragte ich.
Sie bestätigte, ohne mich anzusehen. »Aber wenn sie aufgegeben hätte, hätte sie mich angerufen. Sie hat ihr Handy dabei.«
»Ein dickes Dankeschön an alle, die heute hergekommen sind, um am
Vista
-5000-m-Lauf teilzunehmen«, donnerte ein Typ, der auf der Haupttribüne stand, in sein Mikro. »Wir hoffen, Sie nächstes Jahr an gleicher Stelle wiederzusehen, wenn es erneut heißt: FÜR DAS LEBEN LAUFEN!«
»Vermutlich ist sie irgendwo unterwegs zusammengebrochen«, sagte Olivia. »Mist, ich
wusste
, dass das passieren würde. Bis dann, okay?«
Sie war schon halb über die Straße, als ich zufällig noch einmal am Einkaufszentrum entlangblickte und auf einmal etwas sah. Eine winzige Gestalt, noch ganz weit entfernt.
»Olivia!«, rief ich. Deutete mit dem Finger in die entsprechende Richtung. »Schau mal!«
Sie wandte sich um. Folgte meinem Blick. Noch konnte man nichts Genaues erkennen, deshalb standen wir einen Moment lang nur da und schauten angestrengt in die Ferne. Doch allmählich wurde klar, dass es sich bei der winzigen Gestalt tatsächlich um Laney handelte, die allerdings bloß unendlich langsam vorankam. Und schließlich ganz stehen blieb. Sich vorbeugte, die Hände auf den Knien abstützte. »Mannomann«, murmelte Olivia. »Das ist sie.«
Ich drehte mich um. Der Kerl auf der Tribüne hatte sein Mikro beiseitegelegt und unterhielt sich mit einer Frau mit Klemmbrett unter dem Arm. Eine andere Frau, in einem T-Shirt mit dem Aufdruck
»VISTA-
5000-M-RENNEN«, stieg auf eine Leiter und griff hinter die überdimensionale Stoppuhr, die über der Tribüne hing, um sie abzunehmen.
»Moment«, rief ich ihr zu. »Da hinten kommt noch wer.«
Die Frau schaute von ihrer Leiter erst zu mir herunter, kniff dann die Augen zusammen, blickte prüfend in die Ferne.
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