Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
Vom Netzwerk:
auf Vibrieren eingestellt   – fing an zu summen und rutschte seitwärts über die Tischplatte. Jamie blickte aufs Display. Stöhnte auf. »Was soll das denn schon wieder?«, murmelte er gereizt vor sich hin. Nahm den Anruf trotzdem entgegen. Allerdings klang seine Stimme brüsk und überhaupt nicht nach Jamie, als er nun sagte: »Ja bitte?«
    Ich schob meinen Stuhl zurück, trug meine leere Müslischale zur Spüle. Während ich an Jamie vorbeiging, konnte ich die Stimme des Anrufers durchs Telefon zwar hören, aber nicht verstehen, was er sagte.
    »Wirklich?« Jamie klang plötzlich richtig besorgt. »Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen? Ach . . . Okay, einen Moment, ich frage mal eben.« Er ließ das Handy sinken. »Hast du in letzter Zeit zufällig mit Nate gesprochen? Sein Vater hat keine Ahnung, wo er steckt.«
    Ich wusste es
, dachte ich. Antwortete jedoch bloß: »Nein.«
    »Und du hast ihn übers Wochenende nicht gesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Seit Freitag in der Schule nicht mehr.«
    Jamie hielt sich das Telefon wieder ans Ohr, wiederholte, was ich gesagt hatte: »Sie hat ihn seit Freitag nicht mehr gesehen. Ja, selbstverständlich. Wir sagen dir sofort Bescheid, wenn wir etwas von ihm hören. Du uns aber auch, okay?«
    Ich öffnete die Spülmaschine, richtete meine gesammelte Aufmerksamkeit darauf, meinen Löffel und meine Schüssel hineinzustellen. »Was ist denn los?«, fragte ich, nachdem Jamie aufgelegt hatte.
    »Nate hat sich anscheinend unerlaubt von der Truppe entfernt.« Jamie lächelte grimmig. »Blake hat ihn seit Freitagabend nicht mehr gesehen.«
    Ich richtete mich auf, schloss die Spülmaschine. »Hat er schon bei der Polizei angerufen?«
    »Nein.« Jamie aß einen Löffel Cornflakes. »Er geht davon aus, dass Nate übers Wochenende mit ein paar Freunden abgezischt ist, um irgendwo auf den Putz zu hauen. Typische Abschlussklassenaktion eben. Aber weit sind sie bestimmt nicht gekommen.«
    Ich wusste natürlich, dass das nicht unbedingt stimmen musste. Wenn man genug Zeit und Geld hatte, kam man selbst zu Fuß überallhin. Außerdem hatte Nate nicht erst über einen Zaun klettern müssen. Er war einfach gegangen. Frei, ohne irgendetwas, das ihn aufhielt.
    Wäre ich bloß in der Nacht, als ich ihn seine Bahnen schwimmen sah, zu ihm rübergegangen. Hätte ich bloß am Freitag in der Schule mit ihm geredet. Vielleicht   – nur vielleicht   – hätte ich ihm helfen können. Jetzt war es zu spät. Wenn ich jetzt zu ihm gehen, mit ihm reden wollte   – ich hätte keine Ahnung, wo ich mit dem Suchen anfangen sollte. Er konnte überall sein.
    Eigenständig zur Schule zu fahren, nachdem ich über so viele Monate hinweg von jemand anderem abhängig gewesen war, fühlte sich seltsamer an, als ich geglaubt hätte. Unter anderen Umständen hätte ich es wahrscheinlich genossen. Doch so, wie die Dinge lagen, kam es mir ziemlich seltsam vor, allein in Jamies Auto zu hocken, um mich herum Schweigen und draußen die anderen Autos. An einer Ampel drehte ich zufällig den Kopf, begegnete dem Blick einer Frau in einem Minivan, der neben mir angehalten hatte. Was sie wohl dachte, während sie mich so ansah? Hielt sie mich für einen verwöhnten Teenager in einem teuren Schlitten, Rucksack auf dem Beifahrersitz, Blinker gesetzt, um in Richtung einer teuren Privatschule abzubiegen? Aus irgendeinem Grund nervte mich diese Vorstellung extrem; deshalb starrte ich sie so lange an, bis sie sich schließlich abwandte.
    Nachdem ich den Audi auf dem Schulparkplatz abgestellt hatte, atmete ich tief durch und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, während ich über die Wiese Richtung Hauptgebäude lief. Wenn man es recht bedachte, hatte ichGervais’ Anweisung, mich in einen Zen-Modus zu versetzen, tatsächlich befolgt, wenn auch unfreiwillig. Schließlich war mir schon gestern Abend   – noch bevor ich heute Morgen die Bestätigung erhielt   – im Grunde klar gewesen, dass Nate abgehauen war. Was mich natürlich vom Lernen abgelenkt hatte. Und auch jetzt dachte ich an alles Mögliche, nur nicht an die Gesetze der Differenzialrechnung. Selbst dann noch nicht, als ich die Tür zu meinem Klassenzimmer erreichte, wo Gervais auf mich wartete.
    »Also gut«, sagte er ohne Umschweife. »Hast du alles gemacht, was du vor der Prüfung tun solltest? Mindestens acht Stunden geschlafen? Viel Eiweiß zum Frühstück gegessen?«
    »Nicht jetzt, Gervais, okay?«
    Was er natürlich stur ignorierte. »Vergiss

Weitere Kostenlose Bücher