About Ruby
ähnlich wie ich – geglaubt hatte, sie wäre total unabhängig und würde niemanden sonst brauchen, aber mittlerweile herausgefunden hatte, dass das nicht stimmte. Und, nicht zu vergessen – Nate!
Nate, der mein Freund wurde, bevor ich überhaupt wusste, was das ist. Der mir aus einer Patsche nach der anderen geholfen und nie eine Gegenleistung verlangt hatte, außer dass ich ihm mein Verständnis schenkte und mein Wort gab. Das eine hatte ich ihm zugestanden, das andere allerdings verweigert. Weil ich zu dem Zeitpunkt dachte, ich könnte es nicht. Und hatte dadurch prompt so gehandelt wie meine Mutter, nach dem Motto: Tu lieber jemand anderem weh, als selbst verletzt zu werden. Jemanden zu brauchen, war einfach. So selbstverständlich wie atmen. Doch von jemandem gebraucht zu werden und es zuzulassen –
das
war das Schwierige. Aber es ist wie beim Nehmen und Geben: Man muss beides tun, um ein ganzer Mensch zu werden. Wie die Glieder einer Kette überlappen müssen, damit sie nicht auseinanderfällt. Oder ein Schlüssel, der endlich ins richtige Schloss gesteckt wird.
Ich schob meinen Stuhl zurück, stand auf, ging hinunterin die Küche, hinaus in den Garten. Es klingt wahrscheinlich völlig gaga, aber in dem Moment hatte ich das Gefühl, es wäre lebensnotwendig, Nate zu sagen, dass es mir leidtat. Ihm irgendwie wieder näherzukommen, ihn wissen zu lassen, dass ich für ihn da war.
Ich erreichte das Gartentor, öffnete es, spähte in den Nachbargarten hinüber. Sah mich suchend nach Nate um. Vergeblich. Stattdessen trat ein paar Sekunden später Mr Cross in mein Blickfeld. Sein Handy am Ohr, eilte er quer durchs Wohnzimmer. Ich wich sofort zurück, ging wieder auf die andere Seite des Zauns, duckte mich. Im nächsten Moment schob er die Glastür auf, trat auf die Terrasse.
»Ich sagte Ihnen doch schon, ich war den ganzen Tag auswärts unterwegs«, sagte er und lief am Pool vorbei Richtung Garage. »Er sollte jede Menge Zeug abholen, transportieren, abliefern und sich natürlich erkundigen, ob es sonst noch irgendwo irgendwas zu tun gäbe. Ist er wegen der Sachen für die Reinigung vorbeigekommen?« Beim Zuhören atmete er entnervt durch. »Gut. Dann werde ich ihn mal weitersuchen. Falls Sie ihn zufällig sehen, richten Sie ihm bitte aus, er möge heimkommen. So bald wie möglich. Okay?«
Mr Cross ging wieder ins Haus. Ich hörte nur noch zwei Dinge: meinen eigenen Atem und das gurgelnde Geräusch der Filterpumpe, die das Wasser im Pool ansaugte und wieder ausstieß, ansaugte, ausstieß, ein, aus. Ein, aus. Ich sah wieder Nate vor mir in jener Nacht, als er seine Bahnen geschwommen war. Wie seine dunkle Gestalt unter den Bäumen dahinglitt. Wie lange es her war, seit ich ihn das letzte Mal allein im Pool gesehen hatte . . .
Mr Cross lief mittlerweile – soweit ich es von außen beurteilen konnte – zunehmend hektisch durchs ganze Haus.Durchsuchte sämtliche Zimmer. Während ich ihn heimlich beobachtete, kam mir unvermittelt Nate in den Sinn: wie er neulich in der Schule ausgesehen hatte (seitdem waren wir uns nicht mehr über den Weg gelaufen). Und plötzlich begriff ich, warum mir sein Gesichtsausdruck – distanziert, abwesend – so bekannt vorgekommen war. Genauso hatte meine Mutter gewirkt, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Und zwar war ich ins Zimmer gekommen, sie hatte sich zu mir umgedreht, erstaunt und seltsam ertappt.
Deshalb wusste ich auch, dass Mr Cross’ Suche – als er nun zum wiederholten Mal Nates Namen rief – erfolglos bleiben würde. Leere, Abwesenheit, Verlassensein hat etwas verräterisch Eindeutiges an sich, selbst wenn man noch verzweifelt versuchte, sich das Gegenteil einzureden. Nate war weg.
Kapitel achtzehn
»Hier, das bringt dir hoffentlich Glück«, meinte Jamie.
Ungläubig sah ich ihn an, denn er schob mir seinen Autoschlüssel über den Tisch hinweg zu. »Im Ernst? Bist du sicher?«
»Hundertprozentig«, antwortete er. »Heute ist ein wichtiger Tag. Den solltest du nicht mit Busfahren beginnen.«
»Wow.« Ich steckte den Schlüssel in die Tasche. »Danke.«
Er setzte sich mir gegenüber, schaufelte sich wie immer einen Riesenhaufen Cornflakes in seine Schüssel, ertränkte sie in Milch. »Wie bist du denn so drauf?«, fragte er. »Optimistisch? Nervös? Zen?«
Ich schnitt eine komisch entnervte Grimasse. »Schon okay«, antwortete ich. »Ich wäre nur froh, wenn ich es schon hinter mir hätte.«
Sein Handy – er hatte es
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