About Ruby
war und sich nach der Zeit zurücksehnte, oder vielmehr darauf hoffte, das in Zukunft irgendwann zu tun. Jedenfalls trank er gern und schien von irgendwoher Geld zu haben, war für meine Mutter also ein idealer Fang.
Wenn ich in jenen Herbsttagen an meine Mutter dachte, stellte ich sie mir manchmal auf dem Wasser vor. Vielleicht hatten sie und Warner den alten Cadillac tatsächlich – denn sie hatten oft darüber gesprochen – bis nach Florida runtergekarrt und hielten sich nun auf dem Deck eines Schiffes auf, das auf den Wellen des Ozeans schaukelte. Zumindest war das ein hübscheres Bild als das, welches ich im Grunde im Kopf hatte, aber diese kleine Beschönigung oder Verdrängung der Tatsachen gestattete ich mir einfach. Viel Zeit zum Fantasieren blieb mir ohnehin nicht.
Sie ging im August fort, neun Monate vor meinem achtzehntenGeburtstag, neun Monate vor dem Zeitpunkt, ab dem ich offiziell und legal allein leben durfte. Mir war bewusst, dass eine schwierige Zeit vor mir lag, eine echte Herausforderung. Aber ich bin ein ziemlich cleveres Kerlchen und dachte, ich würde das schon irgendwie hinkriegen. Zunächst einmal beabsichtigte ich, den Job bei
Commercial Couriers
so lange zu halten, bis Robert, dem Besitzer, auffiel, dass meine Mutter nicht mehr da war. Dann würde ich mir etwas anderes suchen müssen. Rechnungen würden auch kein Problem sein; weil wir denselben Namen hatten, kam ich easy an das Konto meiner Mutter ran, für den Fall, dass Lohn direkt darauf überwiesen und nicht per Barscheck ausgezahlt wurde –
falls
es mir gelang, etwas zu verdienen. Wie ich die Lage einschätzte, würde ich also vorläufig alles gut regeln können. Solange ich mir in der Schule keinen Ärger einhandelte – denn dadurch würde ich unweigerlich auffliegen, das stand fest –, musste wirklich kein Mensch erfahren, dass sich etwas Entscheidendes verändert hatte.
Und wer weiß? Wenn der Trockner nicht kaputtgegangen wäre, hätte es möglicherweise sogar geklappt. Außerdem, auch wenn sich meine Pläne nun kurzfristig geändert haben mochten – mein langfristiges Ziel blieb dasselbe wie seit sehr langer Zeit, ja, im Grunde so lange ich mich überhaupt zurückerinnern kann: frei sein. Von nichts und niemandem mehr abhängig und ganz bestimmt nicht von den Launen oder durchgeknallten Ideen meiner Mutter oder von sonst jemandem und auch nicht von dem sogenannten System, in dem immer irgendwer an irgendwem zerrt und man von seinen sogenannten Verpflichtungen nie loskommt. Schlussendlich war es egal, ob ich meine Zeit im gelben Haus oder in Coras Palast absaß. Sobald ich achtzehn wurde, konnteich mich von allem und jedem befreien und endlich das sein, was ich wollte, nämlich allein. Endgültig.
Doch im Moment tat ich erst einmal mein Bestes, um so ordentlich wie möglich auszusehen, was gar nicht einfach war, schließlich standen mir dazu bloß eine Jeans, die ich bereits zwei Tage hintereinander angehabt, sowie ein Pullover, den ich im Gegensatz dazu schon seit Jahren nicht mehr getragen hatte, zur Verfügung. Dabei lag es gar nicht in meiner Absicht, die Leute von der Perkins Day Highschool zu beeindrucken, dachte ich vor mich hin, während ich den Pullover, welcher mir zwei Nummern zu klein geworden war, am Saum herunterzog. Selbst meine besten Klamotten wären für die Leute dort das Allerletzte.
Ich schnappte mir meinen Rucksack vom Bett und ging in den Flur. Coras und Jamies Schlafzimmertür stand einen Spalt offen; beim Näherkommen vernahm ich ein gedämpftes, blechernes Piepsen, zu leise für einen Wecker, aber vom Ton her irgendwie ähnlich. Im Vorbeilaufen warf ich einen raschen Blick in den Raum: Meine Schwester lag auf dem Rücken, aus ihrem Mund ragte ein Thermometer. Sekunden später zog sie es heraus und betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen. Das Piepsen hatte aufgehört.
Ob sie krank war? Cora war quasi ein Seismograf für Infektionskrankheiten gewesen, stets die Erste, die sich ansteckte, wenn irgendetwas in der Luft lag. Laut meiner Mutter hing es damit zusammen, dass Cora sich ständig um alles zu viele Sorgen machte, dass also ihre Nervosität und Ängstlichkeit ihr Immunsystem negativ beeinflussten. Sie selbst bildete sich einiges darauf ein, »seit fünfzehn Jahren nicht einmal eine Erkältung« gehabt zu haben, wobei ich den Verdacht hatte, es lag nicht daran, dass ihr System so ausgeglichen und gelassen gewesen wäre, sondern eher gepökeltoder von mir aus auch
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