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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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Sorge und entsprechend unendlich erleichtert, wenn sie wieder auftauchte; ich bombardierte sie dann mit Fragen, wo sie gewesen sei, was ihr tierisch auf den Keks ging. »Ich brauchte bloß ein bisschen Abstand, okay?«, sagte sie gereizt und rauschte ab in ihr Zimmer, um zu schlafen. Was sie nach den Tagen, die hinter ihr lagen, anscheinend bitter nötig hatte   – so wie sie aussah.
    Sie musste noch mehrfach verschwinden (übrigens jedes Mal ein paar Tage länger), bis mir dämmerte, dass dies exakt die falsche Reaktion war. Dass ich deswegen auf keinen Fall einen großen Aufstand machen durfte. Stattdessen gewöhnte ich mir an, relativ cool und überlegen zu reagieren, fast so, als wäre mir ihre Abwesenheit gar nicht richtig aufgefallen. Unabhängigkeit   – ihre, meine, unsere   – gehörte zu den Hauptthemen meiner Mutter. Sie war sicher alles Mögliche, aber kein Klammertyp. Ich kam zu dem Schluss, dass sie, indem sie abhaute, mir vermutlich beibringen wollte, mich um mich selbst zu kümmern. Nur Schwächlinge brauchen ständig Gesellschaft. Jedes Mal, wenn sie verschwand, bewies sie Stärke; es lag bei mir   – bei mir und meinem Verhalten   –, mit ihr gleichzuziehen.
    Nachdem sie allerdings zwei Wochen weg gewesen war, ohne dass ich irgendetwas von ihr gehört hätte, zwang ich mich schließlich dazu, in ihr Zimmer zu gehen und ihre Sachen durchzuschauen. Ihr Notgroschen   – dreihundert Dollar in bar, wie ich von meiner letzten kleinen Überprüfung her wusste   – war natürlich verschwunden, logo, ebenso ihre Sparbücher, ihr Make-up sowie, was am verräterischsten war, ihr Badeanzug und ihr Lieblingssommerkleid. Wohin auch immer sie sich abgesetzt hatte   – dort war es jedenfalls warm.
    Wann genau sie dieses Mal verschwunden war, hätte ich gar nicht sagen können, da wir zu dem Zeitpunkt nicht wirklich gut miteinander klarkamen. Andererseits kamen wir auch nicht
nicht
wirklich gut miteinander klar. Aber in jenem Herbst waren wir irgendwann dazu übergegangen, überhaupt nichts mehr miteinander zu tun zu haben; das lag zunächst einmal an den Umgangsformen, die wir über die Jahre entwickelt hatten, nach dem Motto: Lässt du mich in Ruhe, lass ich dich in Ruhe. Doch dieses Mal hielt das nicht bloß ein paar Tage an, sondern wurde zum Dauerzustand. Außerdem ging sie nicht mehr zur Arbeit, schlief noch, wenn ich morgens zur Schule ging, schlief immer noch, wenn ich zurückkehrte und dann erneut das Haus verließ, um zu
Commercial Couriers
zu fahren. Wenn ich dann mit dem Ausliefern des Gepäcks fertig war, hielt sie sich nicht mehr daheim auf, sondern war in der Regel ausgegangen. Wir hatten also nicht sonderlich viele Gelegenheiten, uns zu unterhalten. Zumal sie in den seltenen Fällen, in denen sie sowohl zu Hause als auch wach war, Gesellschaft hatte.
    Wenn ich den verbeulten alten Cadillac ihres aktuellen Freundes, Warner, in der Zufahrt zum Haus entdeckte, parkte ich meistens auf der Straße und lief ums Haus herum zu meinem Schlafzimmerfenster, das ich grundsätzlich nicht verriegelte, damit ich stets eine Möglichkeit hatte, unauffällig ins Haus zu gelangen. Es bedeutete zwar, dass ich meine Zähne mit Mineralwasser putzen musste und keine Chance hatte, mir das Gesicht zu waschen, aber das war es mir wert, um Warner aus dem Weg zu gehen, der das Haus mit Pfeifenrauch erfüllte und immer gerade das auszuschwitzen schien, was er am Vortag getrunken hatte. Er hockte schweigend, wie angeklebt auf dem Sofa, Bier in der Hand, undließ mich nicht aus den Augen, wenn ich aus irgendeinem Grund an ihm vorbeimusste. Er hatte nie irgendetwas Konkretes getan, jedenfalls nichts, von dem ich hätte berichten können, aber wahrscheinlich nicht, weil er es nicht gewollt hätte oder so harmlos gewesen wäre, sondern lediglich aus Mangel an Gelegenheit. Und ich hatte gewiss nicht vor, ihm eine solche zu verschaffen.
    Wie auch immer: Meine Mutter liebte Warner, jedenfalls behauptete sie das. Sie hatten sich im Halloran kennengelernt, einer kleinen Bar nicht weit vom gelben Haus entfernt, wo sie manchmal hinging, um Bier zu trinken und Karaoke zu singen. Im Gegensatz zu den früheren Freunden meiner Mutter war Warner nicht der feiste, ungehobelte Typ, sondern sah in seiner Standardkluft   – dunkle Hose, billiges Hemd, Segeltuchschuhe, Kapitänsmütze   – aus, als käme er geradewegs von einem Schiff, wenn auch keinem besonders ansehnlichen. Ich wusste nicht genau, ob er früher zur See gefahren

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