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About Ruby

About Ruby

Titel: About Ruby Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Dessen
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sie.
    Schweigend liefen wir die Treppe hinauf, sie voran, bis in ihr Zimmer, das riesig war, die Wände in einem kühlen Blassblau gestrichen. Es überraschte mich nicht, wie aufgeräumt es war; die Kissen auf dem gemachten Bett waren so symmetrisch angeordnet, dass man das Lineal in der Schublade daneben förmlich vor sich sehen konnte. Wie mein Zimmer hatte auch dieser Raum viele Fenster, ein Oberlicht sowie einen   – allerdings wesentlich größeren   – Balkon, von dem aus Stufen zu mehreren Terrassen darunter führten.
    Während Cora das Zimmer Richtung Bad durchquerte, nahm sie einen Schluck Kaffee aus ihrem Becher. An der Dusche, dem Doppelwaschbecken und der eingelassenen Badewanne vorbei gingen wir in das nächste Zimmer, das sich nicht als Zimmer, sondern als begehbarer Schrank entpuppte. Ein enormer Schrank, mit Regalen vom Boden bis zur Decke auf einer Seite und zwei Wänden voller Kleiderstangen. Soweit ich sehen konnte, nahmen Jamies Klamotten   – Jeans, ein paar Anzüge, jede Menge T-Shirts und Sneakers   – einen Bruchteil des Platzes ein. Der Rest gehörte Cora. Ich blieb im Türrahmen stehen und sah zu, wie sie zu einer der Kleiderstangen ging und ein paar Sachen beiseiteschob.
    »Du brauchst wahrscheinlich ein T-Shirt und einen Pullover, stimmt’s?« Dabei sichtete sie ein paar Cardigans. »Eine Jacke hast du, oder?«
    »Cora.«
    Sie zog einen Pullover hervor und betrachtete ihn prüfend. »Ja?«
    »Warum bin ich hier?«
    Vielleicht lag es an dem beengten Raum oder daran, dass wir das erste Mal ohne Jamie als Puffer zwischen uns zusammen waren. Warum auch immer   – die Frage hatte sich, für uns beide, einfach so ergeben. Denn dass sie Cora genauso überrumpelte wie mich selbst, war mir klar. Und jetzt, da sie ausgesprochen war, wurde mir außerdem zu meiner Überraschung klar, wie sehr ich mir eine Antwort darauf wünschte.
    Sie nahm die Hand von der Stange und wandte sich zu mir um. »Weil du minderjährig bist und deine Mutter dich im Stich gelassen hat«, antwortete sie.
    »Ich bin fast achtzehn«, erwiderte ich, »und allein sehr gut zurechtgekommen.«
    »Gut«, meinte sie mit ausdruckslosem Gesicht. Während ich sie anschaute, wurde mir wieder einmal bewusst, wie wenig wir uns ähnelten: Ich mit meinen roten Haaren, meiner blassen Haut, meinen Sommersprossen; sie dagegen, im starken Kontrast dazu, hatte schwarzes Haar und blaue Augen. Ich war größer und hatte die schlaksige Figur meiner Mutter, während Cora fast einen Kopf kleiner war und nette Kurven an den richtigen Stellen hatte. »Du nennst das
gut

    »Du hast doch keine Ahnung«, meinte ich. »Du warst nicht dabei.«
    »Ich weiß, was ich in dem Bericht gelesen habe«, erwidertesie. »Ich weiß, was die Sozialarbeiterin mir erzählt hat. Willst du damit sagen, das stimmt alles nicht?«
    »Ja«, antwortete ich.
    »Du hast also nicht ohne Heizung und Wasser in einem verdreckten Haus gewohnt?«
    »Nein, habe ich nicht.«
    Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. »Wo ist Mama, Ruby?«
    Ich schluckte, wandte den Kopf ab, hob die Hand und drückte den Schlüssel um meinen Hals gegen meine Haut. »Ist mir egal«, sagte ich.
    »Mir auch«, erwiderte sie. »Tatsache bleibt, dass sie weg ist und man dich nicht einfach allein lassen kann. Beantwortet das deine Frage?«
    Ich schwieg. Sie drehte sich wieder um und sichtete ihre Klamotten.
    »Ich habe dir doch gesagt, du brauchst mir nichts zu leihen.« Meine Stimme klang hoch, gepresst.
    Und ihre erschöpft: »Komm schon, Ruby.« Sie zog einen schwarzen Pullover vom Bügel, legte ihn sich über die Schulter, ging zu einem Regal und nahm ein grünes T-Shirt daraus. Dann kam sie auf mich zu und drückte mir im Vorbeigehen beides in die Hand. »Beeil dich. Ihr braucht mindestens fünfzehn Minuten.«
    Sie durchquerte das Bad Richtung Schlafzimmer und ließ mich einfach dort stehen, wo ich stand. Und ich blieb auch einfach da stehen, wo ich stand, für ein paar Augenblicke. Nahm die ordentlichen Reihen über Reihen von Kleidungsstücken wahr, registrierte, dass die T-Shirts akkurat gefaltet und nach Farben sortiert waren. Blickte schließlich auf die Klamotten, die sie mir gegeben hatte, und sagte mir selbst, es sei mir egal, was die Leute an der Perkins Day über michoder einen blöden Pullover dachten. Das war sowieso alles bloß ein Provisorium. Vorübergehend. Meine Anwesenheit hier oder dort. Oder   – ganz prinzipiell   – überhaupt und überall.
    Doch als ich Jamies Stimme

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