About Ruby
wenig einstellen müssen.«
Ich nahm einen Löffel Müsli und betrachtete Roscoe, der mittlerweile zu Coras Füßen lag, Kopf auf den Vorderpfoten, Hinterbeine von sich gestreckt wie ein Frosch. »Logo«, sagte ich.
Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, bevor sie fortfuhr: »Das Wichtigste, zumindest für Jamie und mich, ist, dass dudich sowohl hier als auch in der Schule gut einlebst. Wenn man mal einen normalen Alltag und geregelten Tagesablauf hat, wird auch alles andere normal.«
»Ich bin kein kleines Kind mehr«, antwortete ich. »Ich brauche nicht für alles einen Stundenplan.«
»Ich meine ja bloß, dass wir nicht versuchen sollten, alles auf einmal hinzukriegen«, sagte sie. »Fest steht, dass sowieso nicht alles von Anfang an funktionieren wird. Aber ich finde es wichtig, sich einzugestehen, dass wir zwar alle Fehler machen, aber auf lange Sicht daraus auch etwas lernen können.«
Ich hob leicht spöttisch die Augenbrauen. Vielleicht befand ich mich ja nach wie vor im Überlebensmodus, aber das, was sie da von sich gab, klang in meinen Ohren ein bisschen zu einfühlsam und verständnisvoll; als wäre es ein Zitat aus einem Handbuch der Sorte »Wie geht man mit gestörten Teenagern um«. Wie sich herausstellte, lag ich mit der Vermutung gar nicht mal so falsch.
»Außerdem finde ich, wir sollten einen Therapeuten für dich finden«, fügte Cora nämlich soeben hinzu. »Du bist in einer schwierigen Übergangsphase und es würde dir vermutlich helfen, mit jemandem zu sprechen, der –«
Ich schnitt ihr das Wort ab: »Nein.«
Sie blickte mich an. »Nein?«
»Ich brauche mit niemandem zu reden«, entgegnete ich. »Mir geht es gut.«
»Ruby«, sagte sie. »Die Idee ist nicht bloß auf meinem Mist gewachsen. Shayna, du weißt schon, deine Betreuerin vom
Poplar House
, findet auch, dass es dir guttun würde, mit jemandem darüber zu sprechen, wie du am besten mit der neuen Situation klarkommen kannst.«
»Shayna, meine ›Betreuerin‹ vom
Poplar House
, kanntemich exakt sechsunddreißig Stunden«, antwortete ich. »Also was soll sie schon groß über mich wissen? Außerdem wird sich nichts dadurch ändern, wenn ich irgendwo rumsitze und über die Vergangenheit rede. Das ist sinnlos.«
Cora nahm ihren Becher, trank noch einen Schluck Kaffee. »Es gibt ein paar Menschen, die finden, dass einem Therapie sehr wohl weiterhilft«, erklärte sie steif.
Ein paar Menschen
, dachte ich und sah zu, wie sie noch einen Schluck Kaffee trank.
Natürlich
.
»Ich will damit doch nur sagen, mach dir nicht so ’nen Kopf«, antwortete ich. »Vor allem, weil das hier ja bloß vorübergehend ist.«
»Vorübergehend?«, fragte sie. »Was meinst du damit?«
Ich zuckte die Schultern. »In ein paar Monaten werde ich achtzehn.«
»Und das heißt?«
»Das heißt, ich bin volljährig und darf offiziell allein leben.«
Cora setzte sich kerzengerade hin. »Ach ja?«, erwiderte sie. »Vor allem, weil das ja bisher für dich auch
so
gut funktioniert hat?«
»Hör zu«, sagte ich. Der Baggermotor draußen sprang wieder an und schreckte Roscoe aus seinem Nickerchen. »Sei doch froh. Du brauchst dich nicht lange mit mir abzugeben. Bald bist du mich los und hast eine Sorge weniger.«
Einen Moment lang sah sie mich bloß schweigend an. Wirkte regelrecht verwirrt. Doch schließlich meinte sie: »Wo willst du denn hin? Wieder in das Haus? Oder möchtest du eine Wohnung mieten, Ruby? Wo du doch so viel eigenes Geld hast.«
Ich merkte, dass ich rot wurde. »Was weißt –«
Sie fiel mir ins Wort: »Vielleicht machst du dich ja auf, um Mama zu suchen, wo auch immer sie steckt, und ziehst wieder mit ihr zusammen.« Sie sprach überlaut und betonte jede Silbe theatralisch, als säßen wir auf einer Bühne und das Publikum würde unsere Unterhaltung gebannt verfolgen. »Denn wahrscheinlich wohnt sie mittlerweile in einem tollen Haus mit einem hübschen Gästezimmer, in dem alles für dich vorbereitet ist. Sieht so dein Plan aus?«
Der Bagger baggerte wieder rumpelnd und knatternd vor sich hin, schaufelte und grub, tiefer, immer tiefer.
»Was weißt du schon über mich?«, sagte ich. »Nichts. Absolut und überhaupt gar nichts.«
»Und wessen Schuld ist das?«, konterte sie.
Ich öffnete den Mund, um darauf zu antworten. Was für eine idiotische Frage! Die Antwort lag doch auf der Hand: Wer war denn abgehauen und nie zurückgekehrt? Wer hatte aufgehört anzurufen, sich zu kümmern? Wem war alles egal? Wer hatte es –
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