About Ruby
Lage der Menschen in Tibet hielt, Kekse verkaufte, deren Erlös der Krebsforschung zugutekam, und Leute rekrutierte, die dabei helfen sollten, das Stück Schnellstraße, für das die Perkins Day zuständig war, zu säubern. Injedem der drei Fälle wirkte sie gleichermaßen engagiert. Noch ein Grund, warum an den Gerüchten, die angeblich über Nate und mich kursierten, absolut nichts dran sein konnte, zumindest nicht aus meiner Sicht. Ich war nun einmal ganz klar nicht sein Typ. Absolut nicht.
Andererseits hätte ich mich natürlich mit Leuten, die eher meine Kragenweite hatten, anfreunden können – sofern ich das gewollt hätte. Denn auch an der Perkins Day gab es ein gewisses Kontingent an menschlichen Wracks, und obwohl sie nicht ganz so schäbig waren wie ihre Kollegen von der Jackson High, erkannte man sie doch auf Anhieb, so wie sie da an ihrem Stammplatz abhingen, einem entlegenen Winkel des Schulhofs, dicht bei den Kunstsälen, allgemein nur die Raucherecke genannt. An der Jackson handelte es sich bei den Kiffern und den Kunstfreaks um zwei klar unterscheidbare Gruppen; hier dagegen, an der Perkins Day, verschwammen die Grenzen und sie mischten sich untereinander. Entweder weil es insgesamt weniger Schüler gab oder weil sie sich im Rudel sicherer fühlten. Deshalb tummelten sich direkt neben Typen in Logo- T-Shirts und Flip-Flops, die konstant irgendetwas – Stoffball, Kronkorken, Getränkedose, was auch immer – vor sich her kickten, Mädchen in Secondhand-Hippieklamotten und Springerstiefeln mit bunten Haaren und jeder Menge Tattoos. Die echten Raucherecken-Ureinwohner tauchten in der Regel erst dann auf, wenn die Pause schon zur Hälfte vorbei war. Und zwar kamen sie, einer nach dem anderen, aus Richtung der hinteren Fußballplätze angetröpfelt, also dem Ort auf dem Schulgelände, der am weitesten von den Gebäuden entfernt lag. Dann konnte man sie dabei beobachten, wie sie heimlich Augentropfenflaschen (die Familienpackungsversion) herumgehen ließen und Snacks oderSchokoriegel aus dem Automaten runterschlangen – ein für Kiffer dermaßen typisches und offensichtliches Verhalten, dass ich mich täglich aufs Neue darüber wunderte, warum die Schulverwaltung keine Razzia veranstaltete und die ganze Bande hochgehen ließ.
Es wäre so einfach gewesen, rüberzugehen und mich ihnen anzuschließen; doch selbst nach einigen Mittagspausen in Gesellschaft meines Sandwiches (und sonst nichts oder niemandem) konnte ich mich nicht dazu durchringen. Vielleicht, weil ich ohnehin nicht lange bleiben würde und es daher sinnlos erschien, Leute überhaupt näher kennenlernen zu wollen. Möglicherweise lag es aber auch an etwas anderem. Zum Beispiel daran, dass ich eine zweite Chance erhalten hatte, die Gelegenheit, Dinge anders anzugehen – ob mir das nun zu Beginn gefallen hatte oder nicht. Auf jeden Fall wäre es mir seltsam vorgekommen, es nicht zumindest zu versuchen. Die Gelegenheit zu ergreifen, meine ich. Es war ja schließlich nicht so, als hätte mein Leben vorher bestens funktioniert.
Es gab allerdings einen Menschen an der Perkins Day, bei dem ich mir – hätte man mich genügend unter Druck gesetzt – schon hätte vorstellen können, dass es vielleicht Spaß machte, zusammen abzuhängen. Und sei es auch nur deshalb, weil sie noch weniger daran interessiert schien, Freunde zu finden, als ich.
Ein bisschen was hatte ich über Olivia Davis, meine Sitznachbarin und Mitüberlebende der Jackson Highschool, mittlerweile gelernt. Erstens: Sie telefonierte permanent. Immer! Sobald es klingelte, hatte sie ihr Handy auch schon gezückt, schnell wie ein Revolverheld beim Duell, ein Finger am Abzug, pardon: auf den Wähltasten. Während sie von einem Klassenzimmer zum nächsten lief, hielt sie eszwischen Ohr und Schulter geklemmt, auch während der gesamten Mittagspausen, die sie ebenfalls allein verbrachte, ihre mitgebrachten Sandwiches aß und ununterbrochen schwatzte. Wenn wir zusammen Unterricht hatten, bekam ich manchmal einige Gesprächsfetzen mit, entweder zu Beginn der Stunde oder direkt danach. Sie schien überwiegend mit Freunden zu reden, nur manchmal, wenn sie einen knappen, genervten Tonfall anschlug, befand sich am anderen Ende der Leitung wohl irgendein Elternwesen. Doch in der Regel schnatterte sie laut und munter vor sich hin, und zwar über die gleichen Themen, über die auch alle anderen um mich herum, auf den Gängen oder in den Klassenräumen, schwatzten: Schule,
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