About Ruby
Kloßbrühe. Zumindest in meinen Augen. »Und das weißt du auch.«
»Reggie?« Anscheinend wusste sie es nicht, denn dazu klang ihre Stimme auf glaubhafte Weise viel zu überrascht. »Nein, nein, wir sind bloß Freunde.«
»Der Typ hat dich mit Ginkgo versorgt. Denk mal an die Bedeutung: Das Ginkgo-Blatt als Yin-Yang-Symbol . . .«, konterte ich. »Freunde tun so etwas nicht.«
»Doch, natürlich.«
»Komm, Harriet, jetzt tu nicht so . . .«
»Ich habe keine Ahnung, was du meinst. Ja, okay, wir sind Freunde, aber die Vorstellung, da könnte mehr sein . . .« Beim Sprechen hatte sie sich wieder dem zugewandt, was sie bis dahin getan hatte, nämlich Kassenzettel sichten. Doch nun blickte sie unvermittelt auf, erst mich an, dann zu Reggie hinüber, der gerade eine Kundin wegen eines Proteinpulvers beriet. »Du liebes bisschen! Glaubst du wirklich?«
»Ja«, erwiderte ich trocken und betrachtete dabei den Ginkgo, den er fein säuberlich auf der Theke aufgestapelt hatte. Obendrauf lag eine Notiz für Harriet, statt Unterschrift: ein Smiley. »Allerdings.«
»Das ist absurd.« Sie wurde rot.
»Wieso? Reggie ist in Ordnung.«
»Ich habe keine Zeit für eine Beziehung.« Sie nahm ihren Kaffeebecher, trank einen Schluck. Den Ginkgo beäugte sie mittlerweile so misstrauisch, als wäre er eine Zeitbombe und kein Nahrungsergänzungsmittel. »Außerdem ist bald Weihnachten, das heißt, ich habe noch mehr zu tun als sonst.«
»Das eine schließt das andere doch nicht aus.«
»Es geht einfach nicht.« Sie schüttelte brüsk den Kopf.
»Warum nicht?«
»Weil es nicht funktionieren würde.« Geräuschvoll öffnete sie die Kassenschublade, pfefferte die Belege hinein. »Momentan kann ich mich nur auf mich selbst und meine Arbeit konzentrieren. Alles andere würde mich bloß ablenken.«
Ich wollte ihr gerade sagen, dass es nicht unbedingt so laufen musste. Und dass sie und Reggie ja schon längst eine Beziehung hatten. Sie waren miteinander befreundet, Harriet hätte in aller Ruhe abwarten können, wie die Dinge sich entwickelten. Ihren Standpunkt musste ich natürlich trotzdem respektieren, selbst wenn ich in diesem Fall anderer Meinung war. Schließlich war ich bisher selbst wild entschlossen gewesen, ein Ein-Personen-Unternehmen zu sein und zu bleiben; auch wenn sich das in letzter Zeit als schwieriger erwies als gedacht. Erst vor einigen Tagen hatte ich das am eigenen Leib erfahren. Ich saß nämlich nichts ahnend mit Cora in der Küche und dachte an nichts Böses (höchstens an meinen eigenen Kram), bis ich urplötzlich und ungefragt in Jamies Feiertagspläne mit einbezogen wurde. Es war wie eine Naturgewalt.
»Moment mal«, meinte Cora und betrachtete das Hemd, das er vor sie auf den Tisch gelegt hatte. »Wofür soll das noch mal sein?«
»Für unsere Weihnachtskarte!«, verkündete Jamie, zog ein weiteres Hemd – ein Jeanshemd mit Druckknöpfen, das genauso aussah wie Coras – aus der Tüte, die er in der Hand hielt, und gab es mir. »Weißt du nicht mehr, dass ich zu dir gesagt habe, ich würde dieses Jahr gern ein Foto machen?«
»Du möchtest, dass wir alle die gleichen Hemden tragen?«,fragte Cora. Jamie holte ein drittes Jeanshemd aus der Tüte, hielt es sich vor die Brust. »Im Ernst?«
»Ja, das wird grandios«, erwiderte Jamie. »Ach ja, wartet einen Moment, das Beste kommt noch.«
Er drehte ab, verließ im Laufschritt die Küche, Richtung Eingangshalle. Cora und ich starrten einander über den Tisch hinweg an.
»Partnerlook?«, fragte ich.
»Keine Panik«, antwortete sie, wirkte aber selbst alles andere als ruhig. Warf einen erneuten Blick auf ihr Hemd. »Zumindest noch nicht.«
»Schaut euch das an.« Jamie kehrte in die Küche zurück. Er hielt etwas hinter dem Rücken versteckt, das er uns nun schwungvoll präsentierte. »Für Roscoe!«
Es war – jawoll! – ein Jeanshemd. In Hundegröße. Eine rote Fliege war darangenäht. Wahrscheinlich hätte ich zumindest dankbar sein sollen, dass sie bei dem für mich bestimmten Hemd fehlte. Doch in dem Moment empfand ich nichts als den reinen Horror.
»Jamie«, setzte Cora vorsichtig an. Jamie bückte sich, verschwand halb unter dem Tisch. Dumpfe, schleifende Geräusche und ein empörtes Schnaufen waren zu vernehmen. Vermutlich versuchte er gerade, Roscoe, der tief und fest geschlafen hatte, in sein Outfit zu zwängen. »Ich habe überhaupt nichts gegen Weihnachtskarten mit persönlichen Fotos, im Gegenteil. Aber findest du wirklich, wir
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